: Zypries schließt Schlupfloch im Osten
Justizministerin Zypries will Gesetzeslücke bei Sexualstraftätern schließen. In den neuen Ländern soll Sicherungsverwahrung der Täter auch nachträglich erfolgen können. Künftig keine Rechtssicherheit, nach der Strafe tatsächlich freizukommen
Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) will bei der Debatte über eine Sexualtäterdatei mitmischen. Er forderte, Kinder besser vor Triebtaten zu schützen, indem eine Straftäterdatei angelegt werde. Kindergärten könnten sich so über Sexualstraftaten von Bewerbern erkundigen und deren direkten Kontakt zu Kindern verhindern. Rüttgers macht sich so mit den Forderungen des sächsischen Innenministers Albrecht Buttolo (CDU) gemein. Der hatte nach dem Mord an dem 9-jährigen Mitja aus Leipzig eine öffentliche, für jedermann zugängliche Datei von Sexualstraftätern verlangt – mit Namen und Anschriften. Der Schutz der Kinder habe Vorrang vor der Privatsphäre der Straftäter. Datenschützer hatten die Forderung empört zurückgewiesen.
AUS FREIBURG CHRISTIAN RATH
Jetzt soll es ganz schnell gehen. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) will die nachträgliche Sicherungsverwahrung auch für sogenannte DDR-Altfälle ermöglichen, die jüngst zu Diskussionen geführt hatten. Heute wird es eine Anhörung im Rechtsausschuss des Bundestages geben, Ende der Woche soll das Parlament beschließen. Die Neuregelung wird einfach per Änderungsantrag in einem anderen Gesetz untergebracht. Zypries hat „Formulierungshilfen“ erarbeitet, die der taz vorliegen.
Das Thema hat für Zypries hohe Priorität, weil ihr jüngst Potsdams Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) Versäumnisse vorwarf. Anlass war die Haftentlassung des Brandenburger Sexualstraftäters Uwe K. (nicht zu verwechseln allerdings mit dem Uwe K., der in Leipzig jüngst mutmaßlich den neunjährigen Mitja getötet hat). Der Brandenburger Uwe K. hatte Anfang der 90er-Jahre neun Mädchen missbraucht und vergewaltigt und galt auch bei Ende seiner Haftzeit noch als gefährlich. Er musste allerdings entlassen werden, weil bis 1995 in den neuen Bundesländern keine Sicherungsverwahrung verhängt werden konnte. Das hatte historische Gründe: Die 1933 eingeführte Sicherungsverwahrung, bei der ein Täter in Haft bleibt, bis er nicht mehr gefährlich ist, galt in der DDR als faschistisches Instrument.
Jetzt will Zypries die Gesetzeslücke für diese Altfälle schließen. Bei ihnen soll auch nachträglich noch Sicherungsverwahrung verhängt werden können. Und anders als bei der 2004 eingeführten Möglichkeit zur nachträglichen Sicherungsverwahrung üblich, sollen dabei nicht nur neue Tatsachen aus dem Haftalltag verwerten werden dürfen. Der Kernsatz aus Zypries’ Vorschlag lautet: „War die Anordnung der Sicherungsverwahrung (…) im Zeitpunkt der Verurteilung aus rechtlichen Gründen nicht möglich, so berücksichtigt das Gericht als Tatsachen (…) auch solche, die im Zeitpunkt der Verurteilung bereits erkennbar waren.“ Im Fall von Uwe K., der in der Haft nicht auffällig war, hätten also auch seine Taten aus den Jahren 1992 bis 95 als Begründung für die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung genutzt werden können.
Auf Täter, die wie Uwe K. bereits wieder entlassen sind, ist die Neuregelung freilich nicht anwendbar. Sie ermöglicht keine Neu-Inhaftierung. Und bei dem Frauenmörder Frank O. aus dem sachsen-anhaltischen Quedlinburg, der seit seiner Entlassung rund um die Uhr von der Polizei überwacht wird, hätte die Haftentlassung selbst bei Geltung der Neuregelung nicht verhindert werden können. Denn auch künftig wird eine „hohe Wahrscheinlichkeit“ für Rückfälle als Voraussetzung für die nachträgliche Anordnung von Sicherungsverwahrung verlangt. Gutachter hatten Frank O. bei der Entlassung aber nur noch als „mittelgradig gefährlich“ eingestuft. „Die Hürde der ‚hohen Wahrscheinlichkeit‘ können wir schon aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht absenken“, sagte gestern eine Sprecherin des Justizministeriums.
Doch die Neuregelung geht zugleich auch weit über die eigentliche Intention hinaus. „Jede künftige Erweiterung der Sicherungsverwahrung wirkt sich dann automatisch auch rückwirkend aus“, sagt Strafrechtsprofessor Joachim Renzikowski aus Halle, der von der FDP für die heutige Anhörung benannt wurde. In allen Fällen, in denen bisher „aus rechtlichen Gründen“ keine Sicherungsverwahrung möglich war, kann sie nach einer späteren Gesetzesänderung nun auch nachträglich verfügt werden. Selbst bei guter Führung im Knast hat ein Häftling also künftig keine Rechtssicherheit mehr, dass er nach Verbüßung der Strafe tatsächlich entlassen wird.