: Briefgeheimnis
Der Ministerpräsident lädt zum Tag der Arbeit – doch die Einladung kommt per unterbezahltem Zusteller
Wenn am 1. Mai dem Tod von vier Anarchisten auf dem Chicagoer Haymarket im Jahr 1886 gedacht wird, will Arbeiterführer Jürgen Rüttgers nicht außen vor bleiben. Also hat er über die Staatskanzlei eine Einladung zum Tag der Arbeit verschickt. Zugestellt wurden diese über den privaten Postanbieter Westmail, der wegen seiner Arbeitsbedingungen in das Blickfeld der Gewerkschaften geraten ist.
Westmail ist ein Gemeinschaftsprojekt verschiedener Zeitungsverlage und bietet eine Briefsendung zum Preis von 44 Cent an und damit deutlich unter den Preisen des ehemaligen Monopolisten Deutsche Post.
Möglich wird dies durch eine rigide Lohnpolitik. Ein Zusteller, der bei Westmail in Vollzeit arbeitet, verdient 6,94 Euro in der Stunde, wie die Gewerkschaft Verdi in einer Studie ermittelt hat. „Das sind eher Hungerlöhne“, so Uwe Speckenwirth vom Fachbereich Postdienste. Außerdem seien nur ein Drittel aller Jobs bei den Briefzustellern überhaupt Vollzeitstellen.
Doch an dieser Situation wird sich so schnell nichts ändern, Westmail besitzt nach eigenen Angaben keinen Betriebsrat. Da wirkt es fast zynisch, wenn das Unternehmen in Stellenanzeigen nach MitarbeiterInnen sucht, die „eigen verantwortlich arbeiten möchten.“
In der Staatskanzlei will man davon nichts gewusst haben. Westmail habe erklärt, dass man überwiegend „sozialversicherungspflichtige Festangestellte“ beschäftige, so eine Sprecherin. An der Seriösität des Unternehmens bestünden „seitens der Landesregierung keine Zweifel“. Dabei hätte man beim Namen Westmail eigentlich misstrauisch werden müssen. Das Unternehmen mit Sitz in Langenfeld arbeitet im Verbund mit dem Zusteller PIN Group, der schon seit einem Jahr für seine Entlohnungspraxis in der Kritik steht. Als der Berliner Senat zugab, einen Teil seiner Post über PIN zu versenden, wurde bekannt, dass die Zusteller so schlecht bezahlt wurden, dass sie trotz Vollzeitstelle noch Anspruch auf ALG II hatten.
Doch der daraufhin einsetzende Protest war erfolgreich. Im Januar 2007 einigten sich Verdi und PIN auf Tarifverhandlungen. Inwieweit die Angestellten von Westmail davon profitieren werden, ist jedoch unklar. Erst im Mai werden die Verhandlungen fortgesetzt. So lange darf der Arbeiterführer noch per Dumpinglohn zum Arbeitergedenken einladen.
CHRISTIAN WERTHSCHULTE