Berlin soll Elbvertiefung stoppen

Naturschutzbund Nabu bittet Bundestag, den geplanten Fahrrinnenausbau nicht zu finanzieren. Er hält diesen für unnötig und ökologisch schädlich: Der Fluss werde zu einem Wirtschaftskanal verkommen, warnt Nabu-Präsident Tschimpke

VON GERNOT KNÖDLER

Der Naturschutzbund Nabu will die geplante Elbvertiefung mit einer Petition an den Bundestag stoppen. „Eine weitere Elbvertiefung ist ökonomisch und ökologisch nicht zu verantworten“, sagte der Nabu-Bundesvorsitzende Olaf Tschimpke gestern in Hamburg. Den größten Teil des 330 Millionen Euro teuren Fahrrinnenausbaus müsste der Bund bezahlen. Am Mittwoch werden die Pläne öffentlich ausgelegt.

Am Sonntagabend hatten deshalb mehrere Tausend Menschen entlang der Elbe zwischen Hamburg und Cuxhaven demonstriert. Ein Regionales Bündnis gegen die Elbvertiefung hatte sie zusammen mit Umweltverbänden, Parteien und Vereinen aufgerufen, sich mit Fackeln auf den Deich zu stellen. Die Initiatoren befürchten, dass der Fahrrinnenausbau die Sicherheit der Deiche gefährden, die Nebenflüsse verschlicken lassen und die Lebensbedingungen für bestimmte Tiere und Pflanzen massiv verschlechtern könnte.

Auch der Nabu hatte zu der Fackel-Demo auf dem Deich aufgerufen. Präsident Tschimpke und seine Kollegen aus Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein forderten ein „gesamtnorddeutsches Hafen- und Küstenkonzept, das den laufend steigenden Meeresspiegel berücksichtigt“. Bevor Deutschlands größtes Flussmündungsgebiet mit seinen einzigartigen Naturräumen weiter zerstört werde, sei zu klären, ob die Elbvertiefung volkswirtschaftlich sinnvoll sei oder ob der geplante Tiefwasserhafen Wilhelmshaven sie überflüssig mache.

Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee dürfe „keinen müden Euro“ für die Vertiefung ausgeben, verlangte Tschimpke. Wenn Hamburg sie wolle, müsse die Stadt selbst dafür zahlen. Tiefensee hatte am Wochenende geäußert, für jeden Euro, der für die Elbvertiefung ausgegeben werde, kämen vier Euro an Einnahmen zurück.

Hans-Jörg Helm, der Vorsitzende des Nabu Niedersachsen, verwies auf die Folgen des jüngsten Fahrrinnenausbaus von 1999. In den Folgejahren kam es in warmen Sommern immer wieder zu einem dramatischen Abfall des Sauerstoffgehalts im Elbwasser unterhalb Hamburgs. Fällt dieser Wert unter eine kritische Grenze, sterben die Fische.

Tatsächlich sind in den Jahren nach der Vertiefung deutlich weniger Meerforellen im Nebenfluss Seeve gefangen worden. Nach Auffassung des Meeresbiologen Ludwig Tent kann das nur an der Elbvertiefung und der Teilzuschüttung des Mühlenberber Lochs, eines Flachwassergebiets, liegen: In der dunklen Tiefe der Fahrrinne sterben die Algen und werden unter Sauerstoffzehrung abgebaut. Wird das Flachwassergebiet kleiner, gelangt weniger Sauerstoff in die Elbe. Der kombinierte Effekt ist fatal.

Die Behörden erklären den Sauerstoffabfall anders: Oberhalb Hamburgs spüle die Landwirtschaft sehr viele Nährstoffe in den Strom, während die Pestizidbelastung gesunken sei. Das erlaube den Algen, sich exzessiv zu vermehren. Demnach ist eher die Menge der Algen als die Tiefe der Fahrrinne für den Sauerstoffverlust verantwortlich.

Zur Überraschung der Hamburg Port Authority (HPA) hat sich nach der jüngsten Vertiefung auch die Menge des Baggerguts, das laufend aus der Fahrrinne geholt werden muss, vervielfacht. Für die Umweltschützer ist das ein Alarmzeichen. Die Hafenbehörde präsentierte mit dem Befund ein neues Rechenmodell des Sedimenttransports: Demnach baggerte sie Sediment aus dem Hafen, das sie zuvor stromabwärts „entsorgt“ hatte. Die Flut bringt mehr Schlamm und Sand als sie abtransportiert.

Mit neuen Deichvorländern und die Tide bremsenden Sandbänken, wollen die Wasserbauer jetzt den Strom bändigen. Ein Konzept, das auch der Nabu gut finden könnte – sofern die Elbe nicht weiter vertieft wird. Dem Hamburger Nabu-Vorsitzenden Rolf Bonkwald macht der Effekt der alten Vertiefung genug zu schaffen, der so nicht vorhergesagt worden sei.

Gegenstand der Prognosen seien lediglich die Entwicklung des Hoch- und Niedrigwassers gewesen, sagt Jörg Oellerich von der HPA. Das mittlere Hochwasser sei gleich geblieben, das mittlere Niedrigwasser leicht gesunken, was aber nicht unbedingt auf den Fahrrinnenausbau zurückzuführen sei. Auch ein weiterer Ausbau werde sich nicht auf das Hochwasser auswirken. Einen klimabedingt steigenden Meeresspiegel in die Planungen einzubeziehen, sei unsinnig.

Oellerich wies Vermutungen, der jüngste oder der geplante Elbausbau könnte die Deichsicherheit gefährden, zurück. „Es gibt keine Prognosen, nach denen es auch nur im Ansatz zur einer Gefährdung der Deiche kommen könnte“, sagt er. Allenfalls Sog und Schwell könnten mit den größeren Schiffen stellenweise um bis zu einen Dezimeter steigen. Von großflächigen Erosionen am Rande des Flussbettes, die die Umweltschützer ausgemacht haben, höre er zum ersten Mal. Nur bei Otterndorf könne sich der Flutstrom geringfügig verstärken und damit der Erosionsdruck wachsen.