Aus tiefer Not ruf ich zu dir

Bürgermeister schildern dem Bundesverfassungsgericht Zustand Bremens detailliert als extreme Notlage

Die Kennziffern sehen gar nicht gut aus: Fast zu einem Drittel ist der Bremer Haushalt über Kredite finanziert – der Länderdurchschnitt liegt nur bei 7,8 Prozent. Die Gesamtschulden betragen 13,7 Milliarden Euro, die Zinssteuerquote ist auf 21,3 Prozent geklettert, doppelt so hoch wie im Länderschnitt. Alles schlagende Argumente, sagt Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD), um beim Bundesverfassungsgericht finanzielle Hilfen zu erstreiten.

In einer 56-seitigen „Klage-Ergänzung“ hat der Senat jetzt en détail dargelegt, warum Bremen seine extreme Haushaltsnotlage nicht aus eigener Kraft beheben kann. Weitere Steuererhöhungen kämen nicht in Frage, weil sonst sowohl Unternehmen als auch EinwohnerInnen abwandern würden – der Gewerbesteuersatz liege bereits deutlich über dem des niedersächsischen Umlandes. Und da das Land seit 1994 für insgesamt 2,254 Milliarden Euro öffentliches Eigentum verkauft hat, sei diesbezüglich auch nichts mehr zu holen. Eine etwaige Veräußerung von Lagerhausgesellschaft, Gewoba, des Flughafens oder der Wohnungsgesellschaft Bremerhavens bringe „keine spürbare Entlastung“.

Der Senat sieht sich zu diesen Ausführungen nicht nur durch die Ablehnung der Berliner Finanz-Klage durchs Bundesverfassungsgericht veranlasst, sondern auch durch das so genannte Korioth-Gutachten: Der Prozessbevollmächtigte von acht potenziellen Geberländern hatte dargelegt, dass Bremens Sanierungsanstrengungen „erkennbar verfehlt“ seien.

Naturgemäß lässt der Senat an Korioths Ausführungen kein gutes Haar. Bürgermeister Thomas Röwekamp (CDU): „Das ist so unsachlich, das würde keinen Amtsrichter beeindrucken.“ Trotzdem legt der Senat auch auf der Ausgabenseite detailliert seine Handlungsunfähigkeit in Bezug auf Einsparungen dar: Die Investitionsquote sei mittlerweile auf das Hamburger Niveau heruntergefahren, bei den konsumtiven Ausgaben ließen „rechtliche und faktische Bindungen“ keine Absenkungen zu. Bremen habe im Vergleich aller deutschen Großstädte beispielsweise die höchste Sozialhilfedichte – während hier jeder neunte Einwohner Anspruch auf Hilfe habe, sei es in Hamburg „nur“ jeder siebte.

Nun wäre Böhrnsen ein schlechter Bürgermeister, würde er nicht auch in ein solches Lamento Positives über Bremen einfließen lassen. In Sachen „Wirtschaftskraft“ also liege das Land bundesweit auf Platz zwei. Trotzdem führten die Ungerechtigkeit in Steuerverteilung und Einwohnerwertung dazu, dass Bremen „selbst unter dramatischsten und objektiv unrealistischen Sparvorgaben“ seinen Haushalt nicht in den Griff bekommen könne. Bis Ende Juli soll der Bund seine Stellungnahme in Karlsruhe einreichen. Wann das Gericht entscheidet, ist offen, auch eine entsprechende Klage des Saarlands ist noch anhängig. Henning Bleyl

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