König Kurts Kampf um die Krone

Vor dem Göttinger Landgericht beginnt heute erneut der Prozess gegen Hildesheims regierenden Oberbürgermeister Kurt Machens und den ehemaligen Vorstand der Stadtwerke Hildesheim. Die Stadt – der Rat und die BürgerInnen– ist jedoch bereits jetzt gespalten, egal wie das Urteil ausfällt

aus Hildesheim MARTIN SPIESS

Die Stimmung ist angespannt im Gustav-Struckmann-Saal des Hildesheimer Rathauses. Das Parkett ist vornehm gewienert. In der Mitte des Raumes hängt ein tannenförmiger Leuchter von der Decke, hinter der milchverglasten Fensterfront im Rücken von Oberbürgermeister Kurt Machens beginnt es zu dämmern. Der ehemalige CDU-Mann Machens trägt Jeans und ein marinefarbenes Nadelstreifensakko. Die Themen der Ratssitzung sind so alltäglich wie immer: Fragen um den Haushalt, der an diesem Abend beschlossen werden soll, Neu- oder Umbesetzung von Stellen, Bebauungsanträge und so weiter. Kommunalpolitik eben. Aber etwas ist anders als in anderen Städten, hier im Rat der Stadt Hildesheim.

Ulrich Räbiger, Fraktionsvorsitzender der Grünen weiß, was: „Seit der Pecunia-Affäre ist es ein sehr viel zäherer Umgang miteinander.“ Da ist das Stichwort. Pecunia non olet. Geld stinkt nicht. Im Ganzen „Pecunia non olet – Verein zur Förderung des sozialen, kulturellen und sportlichen Gemeinwohls in der Stadt Hildesheim“, im August 2000 vom Oberbürgermeister Kurt Machens gegründet. Der Verein hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Spenden zu sammeln und diese nach eigenem Gusto an soziale Einrichtungen und Schulen zu verteilen.

Eine Vereinsgründung wie jede andere? Bereits Mitte der 90er hatte der Stadtrat über eine Teilprivatisierung der Hildesheimer Stadtwerke beraten und Ende 1999 beschlossen, Angebote für den Verkauf einzuholen. Machens war zu dieser Zeit Aufsichtsratsvorsitzender der Stadtwerke. Zum schließlichen Verkauf an das Konsortium aus den Unternehmen Ruhrgas (heute E.ON Ruhrgas) und Thüga kam es – laut Anklage des Landgerichts Hildesheim Anfang 2005 –, weil beide Unternehmen eine Spende von insgesamt 920.000 DM an Pecunia non olet gezahlt hatten. Das jedoch ist nach wie vor ungeklärt. Vom Vorwurf der Bestechlichkeit wurden im Frühjahr 2005 alle drei Angeklagten freigesprochen– neben Machens noch die beiden Vorstände der Stadtwerke Norbert Krämer und Wolfgang Staudinger.

Da war Kurt Machens längst abgewählt. Nach dem Freispruch erklärte er nun seine erneute Kandidatur. Die CDU jedoch hatte einen neuen Kandidaten: Ulrich Kumme, der Machens nach der Affäre im Amt des ehrenamtlichen Oberbürgermeisters gefolgt war. Aber Machens hielt an seiner Kandidatur fest. Die CDU schloss ihn daraufhin aus. Aber Machens hatte noch ein As im Ärmel: Er gründete kurzerhand seine eigene Partei – das „Bündnis!“, dessen alleinige Aufgabe es war, ihn auf den Thron zurückzubringen. Und Machens gewann die Wahl im Oktober 2005. Am 1. Februar 2006 wurde er der erste hauptamtliche Oberbürgermeister der Stadt Hildesheim.

Doch die „Pecunia“-Affäre ist noch lange nicht vom Tisch. Der Freispruch von 2005 hat weder die Fragen des Rates, noch die der BürgerInnen beantwortet. Vor allem aber der Bundesgerichtshof hat noch Fragen. Zum 11. Mai 2006 hob der nämlich das Urteil des Hildesheimer Landgerichts auf. Und heute beginnt der Prozess ein voraussichtlich letztes Mal in Göttingen wieder. Der Vorwurf weiterhin: Bestechlichkeit. „Die zentrale Frage ist: Hat es für die Zahlung an Pecunia eine Gegenleistung gegeben?“, sagt Grünen-Fraktionschef Räbiger. „Neben der juristischen Bewertung ist für mich außerdem die Frage von Bedeutung, ob es in der Politik so etwas gibt wie Reue und wenn ja, wie ernst zu nehmen diese ist.“

Räbigers Frage trifft den Kern der Sache. Viel hat Machens seit der Affäre gesagt, aber er hat nicht eingestanden, den Rat hintergangen zu haben. Das beklagt auch Ulrich Hammer (SPD), stellvertretender Ratsvorsitzender: „Für mich ist wesentlich, das hier ein Stück Demokratie außer Kraft gesetzt wurde.“ Und Frank Wodsack (CDU), Vorsitzender des Finanz-Ausschusses, sagt: „Mein größter Wunsch wäre, dass die Affäre irgendwann ein Ende hat.“

Die Gräben sind tief. „Pecunia“ stelle nur die Spitze eines Problems dar, sagt der Grüne Räbiger. Machens wäre ohne die Affäre nicht nur noch in der CDU, sondern auch für die CDU Oberbürgermeister, ist Wodsack überzeugt. Und nicht zuletzt gäbe es das Bündnis! nicht, den Kurt-Machens-Wahlverein, der mit Slogans in den Wahlkampf zieht wie „Klar für Kurt“ oder „Kurt und gut“. Als drittstärkste Partei im Stadtrat schafft das Spannungen. Vor allem, wenn die beiden großen Volksparteien SPD und CDU nicht den Oberbürgermeister stellen und das Bündnis! ihnen immer wieder vorwirft, nur deswegen Nein zu etwas zu sagen, weil hinter dem Antragsteller ein Ausrufungszeichen steht.

Das ist auch am Montagabend so. Etwas liegt im Argen. Das wird deutlich, als es um aktuelle Fälle von Jugendkriminalität geht: CDU-Fraktionsvorsitzender Kumme wirft Bündnis!-Chef Thomas Müller vor, dass dieser behauptet habe, die Stadt laufe aus dem Ruder. Das Selbstverständnis des Bündnis! wird deutlich, als Müller antwortet: „Ich habe nicht gesagt, die Stadt ist aus dem Ruder, sondern etwas ist aus dem Ruder.“ Und mit einem schelmischen Lächeln setzt er hinzu: „Dafür, dass die Stadt nicht aus dem Ruder läuft, haben die Bürgerinnen und Bürger einen Kapitän gewählt, der sie sicher führt.“ Der Saal bricht in schallendes Gelächter aus, Machens grinst.

Schließlich jedoch weicht die Erheiterung einer Bitternis, die aus dem Vorwurf der Bündnis!-Politikerin Rita Rühmes an die CDU spricht, als es um die Kürzung von Subventionen einer kulturellen Einrichtung geht, die Machens im Wahlkampf unterstützt hat: „Wollen Sie sich jetzt an allen rächen?“ Der Wortbeitrag trifft bei der CDU auf Unverständnis. Dennoch ist er nicht völlig aus der Luft gegriffen. Rita Rühmes war in der CDU, bis diese sie ausschloss. Der Grund: sie hatte Machens bei der Wahl zum Oberbürgermeister 2005 unterstützt.

Der nächste Akt wird nun eröffnet. Die Neuverhandlung steigt sicherheitshalber vor dem Landgericht Göttingen. Das ist weit genug weg von Machens’ Einflusssphäre. Im besten Fall bringt sie ein Ende der Affäre und der mit ihr zusammenhängenden Belastungen für die Arbeit im Stadtrat. „Wenn der Prozess vorbei ist, ist das für die Stadt ein Glück,“ sagt Ulrich Hammer. Die HildesheimerInnen zumindest sind so gespalten wie der Rat selbst, sagt Ulrich Räbiger. „Die Stadt ist entweder für oder gegen Kurt Machens.“