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Archiv-Artikel

Leben statt Tod

BILANZ Die Beratungsstelle im Rat-und-Tat-Zentrum für Schwule und Lesben wird 25. Mit Aids kann man heute leben, doch Homosexuellen fehlt Akzeptanz

„Heute wird weniger, aber leiser gestorben“, sagt Bernd Thiede vom Rat-und-Tat-Zentrum

Mit einem Festakt im Rathaus gewürdigt wurde gestern der 25. Geburtstag der Beratungsstelle im Rat-und-Tat-Zentrum für Schwule und Lesben. Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) sprach mit Blick auf deren Gründung gar vom „Anfang eines Bremer Weges“ auf dem Weg zu „Enttabuisierung“ und „Akzeptanz“ anderer Lebensentwürfe.

Im Mittelpunkt der Arbeit stand seinerzeit die damals weithin als „Schwulenseuche“ diffamierte Krankheit Aids, damit die Begleitung der Betroffenen bis in ihren Tod. „Inzwischen ist Aids eine behandelbare, chronische Krankheit“ geworden, sagt Bernd Thiede, Mitbegründer und bis heute Mitarbeiter der Beratungsstelle. „Mit Aids leben“ ist inzwischen die Devise. Trotzdem kann man immer noch binnen Kurzem daran sterben kann, gerade bei Fehl- oder Spätdiagnosen. „Heute wird weniger, aber leiser gestorben“, sagt Thiede.

Etwa 1.200 Menschen mit HIV leben seinen Worten zufolge in Bremen, die Zahl der erfassten Neudiagnosen lag 2001 bei 24 und 2009 bei 31. „Sexuell übertragbare Krankheiten haben in den vergangenen Jahren zugenommen“, so Thiede. Zugleich sei es gelungen, statt seuchenrechtliche Maßnahmen zu ergreifen, auf Solidarität und Akzeptanz der Lebenssituation von Betroffenen zu setzen. „Doch die Kürzungen bei den Sozialleistungen treffen die vielen jungen Aids-Kranken hart“, sagt Thiede, ein Leben in Grundsicherung oder mit Hartz IV sei „für viele vorprogrammiert“.

Die drei MitarbeiterInnen der Beratungsstelle begleiten heute etwa 50 Menschen mit HIV und Aids, leisten jährlich etwa 700 telefonische und 600 persönliche Beratungen, besuchen ferner 40 bis 50 Schulklassen.

Daneben spielen die Rahmenbedingungen für gleichgeschlechtliche Lebensweisen nach wie vor eine wichtige Rolle auch in der Beratungsarbeit. Zwar ist Anfang der Neunzigerjahre Homosexualität aus dem Katalog der Krankheitsdiagnosen der Weltgesundheitsorganisation gestrichen worden, und Sex zwischen erwachsenen und minderjährigen Männern steht seit 1994 nicht mehr unter Strafe. Aber auch in Zeiten schwuler Bürgermeister und Außenminister gebe es vielfach keine „reale, gelebte soziale Akzeptanz“ von Schwulen und Lesben, sagt Thiede, keine Gleichstellung von Homo- oder Bisexuellen: „Die Gesellschaft ist heteronormativ.“

„Schwul“ hingegen werde wieder vermehrt als Schimpfwort benutzt, und die Suizidrate bei homosexuellen Jugendlichen – ohnedies im Vergleich zu heterosexuellen „relativ hoch“ – steige an, so Thiede. Zugleich hätten Jungen und Mädchen heute nicht erst mit 18, sondern zum Teil schon mit 13 oder 14 ihr Coming-out. Selbst Elfjährige haben sich schon ans Rat-und-Tat-Zentrum gewandt.

Für ihre Arbeit bekommt die Beratungsstelle derzeit jährlich 150.000 Euro vom Sozialressort. Böhrnsen „versicherte“ gestern, dass man sie „natürlich“ weiter unterstützen werde. Jan Zier