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Archiv-Artikel

„Diese Bilder verstehen Japaner nicht“

SOLIDARITÄT Die Pianistin Aki Takase und die Schriftstellerin Yoko Tawada nehmen an der „Nacht für Japan“ im Radialsystem teil. Ein Gespräch über unterschiedliche Wahrnehmungen und Erwartungen nach Fukushima

„Nacht für Japan“

■  Am 16. April findet im Radialsystem V die „Nacht für Japan“ statt, ab 20 Uhr, mit Tanz, Theater, Gesang, Lesung und Musik. Japanische und deutsche Künstler, Sasha Waltz, Alexander von Schlippenbach u. a., treten auf.

■  Aki Takase, geboren 1948 in Osaka, ist eine international erfolgreiche japanische Jazzpianistin und lebt seit über 20 Jahren in Berlin. Sie nimmt es mit Jazzgrößen wie John Zorn oder Lester Bowie auf. Mitte der 1980er lernte sie den Free-Jazzer Alexander von Schlippenbach kennen, mit dem sie verheiratet ist.

■  Yoko Tawada, japanische Schriftstellerin, wurde 1960 in Tokio geboren und schreibt auf Deutsch und in ihrer Muttersprache. Sie studierte Literaturwissenschaft in ihrer Heimatstadt und ab 1982 in Hamburg. Die Trägerin zahlreicher Preise lebt seit 2006 in Berlin und veröffentlicht Lyrik, Theaterstücke, Romane und Künstlerbücher. Mit Aki Takase performt sie im Duo „Klang und Texte“. Fotos: Promo/Yves Noir

VON FRANZISKA BUHRE

taz: Wie schätzt ihr persönlich die Berichterstattung über das Erdbeben und die Lage im Atomkraftwerk Fukushima ein?

Yoko Tawada: In der ersten Woche nach dem Erdbeben haben japanische Zeitungen über den Zustand des AKW in Fukushima kaum berichtet. Ich habe Informationen aus deutschen Zeitungen ins Japanische übersetzt und online gestellt, weil ich besorgt war über diese Nachrichtenlage. In der zweiten Woche standen dieselben Fakten in japanischen Medien, aber die deutschen Reaktionen waren ganz anders. Hier wird so dramatisch berichtet – aber diese Bildersprache verstehen Japaner nicht. Ich hatte ein Problem mit dieser christlich geprägten Vorstellung von Apokalypse oder Sintflut, der Menschen wie auf der Arche Noah entkommen könnten. Meine deutschen Freunde fragten mich, warum meine Familie nicht aus Tokio fliehen würde. Das können wir von 30 Millionen Menschen nicht erwarten.

Aki Takase: Vor einem Monat habe ich erst deutschen Rundfunk, dann den japanischen Sender NHK online gehört. Als das Ausmaß der Katastrophe bekannt wurde, habe ich eine Konzerttournee abgesagt. Ich sollte in Niigata spielen, einer Stadt in der an Fukushima angrenzenden Präfektur. Mich riefen auf einmal Leute an, die sich zwei, drei Jahre nicht gemeldet hatten, und fragten, ob alles in Ordnung ist. Ich weiß, das war Aufmerksamkeit, aber ich wollte keinen Trost.

Y. T.: Wenn das AKW nicht wäre, hätte ich mich ausschließlich damit beschäftigt, Spenden zu sammeln, damit die Tsunami-Opfer wieder in den Alltag zurückkehren können. Aber jetzt ist es für mich genauso wichtig, darüber nachzudenken, wie man diesen „Atomkrieg“ im weitesten Sinne ein Ende setzen kann. Das Gefühl von Bedrohung verändert hier bereits die Politik. Die Sensibilität für die Gefahr sehe ich besonders bei deutschen Frauen.

taz: Inwiefern?

Y. T.: Das hat für mich mit der hiesigen Vorstellung von Reinheit zu tun. Die Mütter hier wollen ihre Kinder von jeder Unreinheit schützen. Man glaubt hier, dass Reinheit die Gesundheit versichert. Diese Vorstellung wird unterstützt durch die Naturwissenschaft. In Japan ist man zufrieden mit sich selbst, wenn man eine Reinigungszeremonie durchgeführt hat. Im Alltag sind Rituale viel präsenter, während sie hier in eine andere Ebene übergegangen ist. Als die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl passierte, haben manche meiner Kommilitoninnen an der Universität Hamburg genaue Listen geführt, welche Lebensmittel gefährlich sind und welche nicht. Für mich eine typisch deutsche Frauensache.

taz: Wie erinnert ihr die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl?

A. T.: Ich habe es damals in Japan aus der Zeitung erfahren. Wir wussten nichts Genaues und haben es deswegen nicht so wichtig genommen.

Y. T.: Ich fand, dass die schlechte Informationspolitik der russischen Behörden von den Befürwortern der Kernkraft ausgenutzt wurde. Obwohl ich auf Anti-AKW-Demos ging, habe ich damals noch nicht verstanden, warum ich vor den erhörten Strahlungswerten mehr Angst haben soll als vor dem Alkohol, der nicht selten Krebs verursacht. In den letzten 20 Jahren haben wir viel über den Klimawandel gesprochen und vergessen, dass weiter AKWs existieren.

A. T.: Ich habe in den letzten Wochen bei NHK einige wenige Demonstrationen in Tokio gesehen. Es werden immer mehr. Dass jetzt viele junge Japaner gegen Atomkraft auf die Straße gehen, finde ich sehr gut. Unter Freunden haben wir uns hier gefragt, was wir tun können, um den Opfern des Erdbebens zu helfen. Wir haben nun die Möglichkeit, mit der Benefizveranstaltung Spenden zu sammeln. Die Japaner sollten unbedingt einander helfen. Das können wir nicht allein der Regierung überlassen.

taz: Welche Rolle spielt die Stimme des japanischen Kaisers dabei?

Y. T.: Was er sagt, hat für uns überhaupt keine Bedeutung. Für die deutschen Medien ist er aus irgendeinem Grund sehr wichtig.

taz: Wie, meint ihr, sollte es jetzt in Japan weitergehen?

„Japan soll das Land der Sonnenenergie werden“

YOKO TAWADA

Y. T.: Die Verbindungen zwischen den großen Konzernen, die Atomstrom produzieren, und der Regierung müssen abgeschnitten werden. Die Sonne ist auf der japanischen Nationalflagge. Japan soll das Land der Sonnenenergie werden.

A. T.: Tokio war auch nachts immer hell erleuchtet. Jetzt ist die Stadt abends so dunkel wie in Berlin. Wir müssen in Zukunft einfach weniger Strom verbrauchen.

Y. T.: Aki spielt dann nur noch akustisches Klavier.

A. T.: Wunderbar, darauf freue ich mich! Für dich ist das auch kein Problem.

Y. T.: Ja, ich schreibe dann handschriftlich und lese ohne Mikrofon.