: Die singende Revolution
Noch einmal von Vietnam, Chile und Solidarität singen. Der Film „Revolution“ des finnischen Regisseurs Jouko Aaltonen fragt, was aus den Idealen der finnischen kommunistischen Gesangsbewegung der 70er geworden ist
1969. Der erste Mensch betritt den Mond, die Hippies feiern Woodstock, die USA beginnen mit dem Abzug der Truppen aus Vietnam, überall auf der Welt rebellieren die Studenten – und in Finnland, dem kleinen Nachbarland der UdSSR, entwickelt sich eine eigentümliche Welle sozial-kulturellen Radikalismus. Ein Teil der Kunst- und Kulturschaffenden, der der Minderheit der aufgrund des Einmarsches der UdSSR in die Tschechoslowakei zerstrittenen Kommunistischen Partei nahestand, war der festen Überzeugung, die soziale Revolution sei bereits auf dem Weg. Agit-Prop – Agitation und Propaganda – wurde plötzlich ein populärer Aspekt der Kultur, es kam zu einem regelrechten Boom von Künstlern, die sich auf einmal als radikale Linke begriffen.
So gründeten einige dieser Künstler 1970 das singende Kollektiv „Agit-Prop“, um auf den Weltfestspielen der Jugend in Berlin, der Hauptstadt der DDR, aufzutreten. In Finnland sang das Quartett bei Streiks und Treffen von Arbeiterorganisationen. Ihr Name wurde immer bekannter, 1972 nahmen sie ein Album auf. Mit unmissverständlichen Liedern: „Lenin“, „Vietnam“, „Das Lied des roten Häftlings“, „Du kennst die Gesetze deiner Klasse“: Wer „Agit-Prop“ hörte, musste sie hassen oder lieben. Das Zweite davon taten viele. 1975 kamen „Agit-Prop“ in die nationale Auswahl für den Eurovision-Grand Prix. Für den nächsten Schritt zur „Finnlandisierung“ des restlichen Europas hat es dann aber doch nicht gereicht. Mit 228 Punkten landete das kommunistische Gesangskollektiv auf dem vorletzten Platz.
Der finnische Regisseur Jouko Aaltonen hat sich in seiner Dokumentation „Kenen joukoissa seisot“ („Auf welcher Seite stehst du?“), die hier unter dem Titel „Revolution“ vertrieben wird, dieser Ära der singenden Agit-Prop-Gruppen angenommen. Und lässt die Musik-Radikalen von damals zu Wort kommen, die mittlerweile ergraut sind und sich niedergelassen haben: Künstler, Architekten, Bibliothekare, die immer noch leuchtende Augen bekommen, wenn sie singen: „Olen kommunisti!“, „Ich bin ein Kommunist!“. In Interviews mit den ProtagonistInnen und den unbekannt Gebliebenen, die damals außerhalb Helsinkis aktiv waren und den eigentlichen Großteil der Bewegung ausmachten, und in zahlreichen Archivaufnahmen von Konzerten und Demonstrationen zeigt Aaltonen, welche Bedeutung der Gesang als Weltverbesserungsmaßnahme damals hatte. In einer ganzen Reihe von Szenen stimmen die Klassenkampfveteranen ihre alten Lieder von Sozialismus und Solidarität an den Schauplätzen ihres gegenwärtigen Lebens an. In der Straßenbahn etwa. Dabei ist es hinreißend zu sehen, wie nach und nach mehr Passagiere unisono in den 30 Jahre alten Gesang für den Frieden einstimmen. Und so ist „Revolution“ nicht nur auf das Gestern gerichtet: Im Abspann wird das Mikrofon der Rapperin Mariska übergeben.
Der Film ist heute Abend im Agit-Prop-Kino Lichtmess zu sehen, präsentiert von der Agit-Prop-Abteilung des Freien Sender Kombinats, der Transmitter-Redaktion. ROBERT MATTHIES