LESERINNENBRIEFE :
„Terror“ sorgt für klaren Blick
■ betr.: „Der geliebte Feind“ u.a., taz vom 1. 9. 14
Das nach allen Seiten gut sichtbare Hauptmerkmal „Terror“ sorgt für die treffendste Beschreibung von Kriegen und Konflikten überhaupt. Es sorgt von Anfang an für den klaren Blick.
Zum Beispiel, welche Fakten relevant sind und welche nicht. Es ist der erste Schlüssel, um in aller Tiefe die Lage zu verstehen und aufgrund fundierter Kenntnisse adäquat einzuschätzen. Ohne die Terror-Kategorie würde die Untersuchung der Faktenlage in haltlosem Chaos versanden. Auch die Einschätzung des anderen, des Kriegsgegners, seiner Gründe, Motive und Ziele würde sich unauflöslich verwirren. Denn wir, die wir unschuldig aus Friedens- und Menschenliebe eingreifen möchten, sind die Terror-Bekämpfer auf dieser Welt. Daher müssen wir auch unbeirrt die Terror-Kämpfer ad hoc als solche erkennen.
Die Ausgewogenheit, Sachlichkeit und Recherchiertheit eines Berichts oder Artikels hängt ganz maßgeblich von der Anzahl des Wortes „Terror“ und „Terrorist“ ab. Zu diesem Ergebnis kommt unsere Denkfabrik „zeitgenössische Politik“.
UTE BREITENBACH, Berlin
Lückenhafte Aussage
■ betr.: „Gefährliche Widersprüche“, taz vom 30. 8. 14
Eigentlich schätze ich sehr die Texte von Robert Misik in der taz, in denen er relevante theoretische Diskussionen der Linken auf verständliche Weise erklärt, wie zum Beispiel in dem Artikel über Benjamin Kunkel am 8. 8. 14, „Lasst es uns mit Marx versuchen“. Die pointierte Darstellung ist ihm auch in seinem neuesten Beitrag vom 30. 8. über David Harvey gelungen, jedoch bin ich ziemlich enttäuscht über die – von der Redaktion nicht ergänzte – äußerst lückenhafte Aussage, es seien in den letzten Jahren „zwei“ von David Harveys Werken auf Deutsch erschienen. Interessierte LeserInnen werden damit nicht gut informiert.
Hier eine Auflistung der mir bekannten Werke – weitere (u. a. die „17 Widersprüche des Kapitalismus“ bei Suhrkamp) sind in Vorbereitung: „Der neue Imperialismus“, VSA: Verlag Hamburg 2005; „Räume der Neoliberalisierung. Zur Theorie der ungleichen Entwicklung“, VSA: Verlag Hamburg 2007; „Marx’ ‚Kapital‘ lesen. Ein Begleiter für Fortgeschrittene und Einsteiger“, VSA: Verlag Hamburg 2011 (dieser Band basiert auf den im Artikel herausgehobenen Video-Lectures von Harvey); „Das Rätsel des Kapitals entschlüsseln. Den Kapitalismus und seine Krisen überwinden“, VSA: Verlag Hamburg 2014; „Kleine Geschichte des Neoliberalismus“, Rotpunktverlag, Zürich 2007. MARION FISCH, Hamburg
Etwas mehr nachdenken
■ betr.: „Geld macht doch Babys“, „Frauen verdienen nur die Hälfte“, taz vom 28. 8. 14
„Über 150 familienpolitische Leistungen“ / „Der Staat gab 200 Milliarden Euro für Familien aus“.
Man sollte schon bei der Terminologie etwas mehr nachdenken. Als wenn es ein „natürliches“ oder „eigentliches“ Steueraufkommen gäbe, und der Staat „verzichtet“ oder „gibt aus“. Nach dieser Betrachtungsweise könnte man auch behaupten, Grundfreibetrag und unterdurchschnittliche Steuerlast für geringe Einkommen seien eine sozialpolitische „Ausgabe“ oder ein „Verzicht“ des Staates. Vielmehr ist das nichts als die faktische Ausgestaltung des Ziels der Steuergerechtigkeit. Das Ehegattensplitting nun gibt dem Recht auf die freie wirtschaftliche Binnengestaltung (ungleiche Verteilung der Erwerbsarbeit) einer Zweiergemeinschaft Raum. (Zur Verbesserung der Analysefähigkeit empfehle ich einfach mal kurz als Gedankenexperiment alle Ehen als gleichgeschlechtliche Partnerschaften zu betrachten. Die zwei „treten füreinander ein“ hieß es doch.)
Wenn der eine Partner aus Gründen, die in der oben genannten Freiheit liegen, sich dem Arbeitsmarkt entzieht, so ist daran zunächst überhaupt nichts falsch. Wenn dadurch Schieflagen wie Altersarmut entstehen, ist vielmehr an anderer Stelle etwas falsch. Der primäre Sinn von Erwerbsarbeit ist Lebensunterhalt und nicht die „Erwirtschaftung“ einer individuellen Alterssicherung. Durch Verweigerung der oben genannten Freiheit gleich hohe Einkommen von Partnern zu erzwingen, erfordert eine Absenkung der bisher besser verdienenden Partner (darüber hört man gar nichts), es sei denn, man erwartet, nicht genutzte Ressourcen für den Arbeitsmarkt zu heben und das Gesamteinkommen zu steigern, was ein ganz anderes Thema ist. Arbeit liegt nicht auf der Straße und muss bloß genommen werden (die gleiche Problematik wie bei der Erhöhung des Lebensarbeitszeit). Der Satz, das Ehegattensplitting nütze Alleinerziehenden nichts, ist ausnehmend dumm. Natürlich nicht.
Der zweite Artikel ist noch gedankenloser. „Das Ergebnis des DIW (Frauen verdienen insgesamt halb so viel wie insgesamt die Männer) unterscheidet sich von Angaben des Statistischen Bundesamtes“, wonach Frauen 22 Prozent niedrigere Stundenlöhne haben. Die beiden Studien ermitteln eben unterschiedliche Parameter und widersprechen sich damit prima facie nicht. Der Autor macht daraus: „Die abweichenden Befunde beruhen unter anderem auf unterschiedlichen Berechnungsmethoden“ – ein merkwürdig gedankenloser Füllsatz.
Vollkommen unsinnig ist der Schlussabschnitt, wonach Frauen trotz geringerem Einkommen höher steuerlich belastet werden, infolge Ehegattensplitting. Autor meint offenbar die Steuerklasse V und betrachtet die Partner nicht als Partner. Warum dann nicht gleich: Der Ehegattensplittingvorteil wird allein dem Höherverdienenden geschenkt, dem Geringverdienenden aber per Steuerklasse V fast alles weggenommen. Das wär doch ’ne Pointe.
MICHAELA SPRICK, Dußlingen