: „Der Konflikt bleibt“
BRASILIEN Gerade ist die WM überstanden, nun kommt Olympia. Soziale Kämpfe um Megaevents
■ 29, hilft Amnesty International und Kobra, einem Netzwerk für soziale Bewegungen Brasiliens im deutschsprachigen Raum.
taz: Frau Bußler, herrscht in Brasilien noch Katerstimmung nach der WM oder gucken die Menschen schon auf Olympia 2016?
Pyliss Bußler: Katerstimmung wegen des 7:1?
Nein, wegen der Proteste.
Die Proteste sind ebenso wenig vergessen wie die Zwangsräumungen, die im Rahmen der städtischen Umstrukturierungen stattgefunden haben. Vor allem die Menschen, die alles verloren haben, werden das nicht vergessen. Die Leute gucken kritisch auf Olympia. Das war schon immer so: Fußball ist ein beliebter Sport, aber die Sportarten, die bei den Olympischen Spielen praktiziert werden, haben nichts mit den Sportarten zu tun, die in Brasilien ausgeübt werden.
Warum interessiert sich Amnesty International für die Großevents in Brasilien?
Großevents gehen vor allem in Schwellenländern immer mit Menschenrechtsverletzungen einher. Amnesty befasst sich mit Geschehnissen, die exemplarisch sind für eine Reihe von Defiziten. Anhand der Spiele kann man auf generelle Missstände aufmerksam machen. Polizeigewalt ist in Brasilien immer präsent, aber während der WM richtete sie sich besonders gegen soziale Bewegungen und Demonstranten.
Haben die Proteste eine dauerhafte gesellschaftliche Perspektive oder verschwinden sie?
Die Großevents waren der Auslöser für die Proteste, aber nicht der Grund. Der Konflikt bleibt: Die Gehälter der Menschen sind historisch niedrig, während die Lebenshaltungskosten ständig steigen. Die Proteste werden weitergehen, wenn auch nicht auf so spektakuläre Art, sondern eher in Form von Streiks und kleineren Protestmärschen.
Wer profitiert am meisten von den Großevents?
Das ist eine kleine Gruppe. Einmal sind da natürlich die Fifa und deren Sponsoringpartner. Aber auch der Bürgermeister von Rio, Eduardo Paez, und einige Politiker um ihn herum. Paez hat sich von den vier großen Baukonzernen seinen Wahlkampf finanzieren lassen. Die Preise auf dem Immobilienmarkt sind extrem gestiegen. Vor allem dort, wo ganz neue Viertel für die Mittelschicht entstehen. Vielleicht profitiert auch der eine oder andere Favelabewohner, der durch die Befriedung seiner Favela jetzt ein Restaurant eröffnet hat, weil neuerdings viele Touristen kommen. Aber das ist die Ausnahme.
INTERVIEW: KATHARINA SCHIPKOWSKI
Brasilien zwischen WM und Olympia. Soziale Kämpfe im größten Land Lateinamerikas: 18.30 Uhr, Curio-Haus