: Fluppen-Flopp mit R an der Tür
Hamburg und Schleswig-Holstein bleiben beim Nichtraucherschutz hart, Niedersachsen und Bremen setzen dagegen auf Ausnahmen. Das wiederum finden Ärztevertreter verantwortungslos – in Spanien nahm die Zahl der Raucher trotzdem ab
16,7 Millionen Deutsche rauchen laut dem Drogenbericht der Bundesregierung regelmäßig. Ihr Anteil an der gesamten Bevölkerung sank von 29,8 Prozent im Jahr 2005 auf 28,7 Prozent im vergangenen Jahr. Jährlich sterben etwa 110.000 Menschen durchs Rauchen, vor allem durch Krebs, vor allem Lungenkrebs, aber auch durch Kreislauf- und Atemwegserkrankungen sowie Magengeschwüre. Rund 3.300 Menschen sterben nach Angaben des Deutschen Krebsforschungszentrums bundesweit pro Jahr an den Folgen des Passivrauchens. Die Kosten der Sucht für Gesundheit und Wirtschaft liegen danach bei rund 17 Milliarden Euro im Jahr. Der Bund kassierte 2005 mehr als 14 Milliarden Euro Tabaksteuer. Seit 2002 wurde die Steuer um 5,6 Cent pro Zigarette erhöht. Eine Packung kostet heute etwa vier Euro. taz
von KAI SCHÖNEBERG
Glückliches Spanien. Nicht nur, dass gestern über der iberischen Halbinsel die Sonne schien. Auch beim Thema Nichtraucherschutz haben die Spanier eine Regelung gefunden, die in nichts dem föderalen Jammertal gleicht, dass die deutschen Ministerpräsidenten gestern in Berlin durchschritten. „Das ist wie immer in Spanien“, sagt Thomas Liebelt, Chefredakteur der Costa Blanca Nachrichten, die wöchentlich fast 30.000 Exemplare vor allem an deutsche Rentner in der Provinz Alicante verkauft. „Die Gesetze sind streng, aber die Handhabung ist lax.“
Seit Anfang 2006 drohen Spaniens Gastwirten Geldbußen bis zu 10.000 Euro, wenn sie gegen die Nichtrauchergesetze verstoßen. „Kontrolliert wird das aber nicht“, hat Liebelt beobachtet. Die spanische Regelung ist zudem ähnlich porös wie die, für die sich gestern einige Bundesländer in Berlin aussprachen: Tapas-Bars oder Restaurants, die kleiner als 100 Quadratmeter sind, können selbst entscheiden, ob sie ihr Lokal zur Nichtraucherzone erklären oder nicht. Das Ergebnis: Meist darf weitergeraucht werden. „Nur Chinesen oder große Fischlokale sind rauchfrei, Raucherzimmer gibt es kaum“, sagt Spanien-Experte Liebelt.
Ähnlich dürfte es demnächst auch in Niedersachsen aussehen. Was der Chef der Ministerpräsidenten-Konferenz, Niedersachsens Regierungschef Christian Wulff (CDU), gestern als „größten Schritt zum Schutz vor dem Passivrauchen“ zu verkaufen versuchte, ist tatsächlich nur ein schaler Kompromiss: Alle Länder wollen künftig zwar in Behörden, Kitas und Krankenhäusern, selbst in Diskotheken das Qualmen komplett verbieten. In Gaststätten genehmigen sich einige Landesfürsten jedoch Ausnahmen vom generellen Rauchverbot, das bundesweit nur in abgetrennten Raucherzimmern aufgehoben werden soll. Anfangs hatten sich nur NRW und Niedersachsen dafür ausgesprochen, Wirte und Gäste selbst entscheiden zu lassen, ob in mit einem „R“ an der Tür gekennzeichneten Raucherbars gepafft werden darf. Nun liebäugeln auch das Saarland, Sachsen-Anhalt und Baden-Württemberg damit. Bremen, einst ganz vorne an der Rauchverbots-Front, will nun das Qualmen offenbar in kleinen Kneipen zulassen, wenn der Besitzer selbst bedient – auf diese Weise sollen Mitarbeiter nicht zum Passivrauchen gezwungen werden.
Die niedersächsischen Grünen sprachen umgehend vom „Fluppen-Flopp“ Wulffs, der die Ausnahme-Regelung mit dem „R“ einst medienwirksam in der Bild am Sonntag verkauft hatte. Die „R“-Kneipen seien eine „Verbeugung vor der Lobby der Tabakindustrie“, sagte Fraktionschef Stefan Wenzel. „Beschämend“ nannte es auch Wolfgang Jüttner (SPD), „dass ausgerechnet der niedersächsische Ministerpräsident am fleißigsten den Flickenteppich“ im Nichtraucherschutz geknüpft habe. Die von den Ländern „unter dem Deckmantel der föderalen Vielfalt zugelassenen Ausnahmeregelungen“ zeigen für Gisbert Voigt, den Vizepräsidenten der niedersächsischen Ärztekammer, „die mangelnde Verantwortung für die Belange nicht rauchender Gaststättenbesucher und des dort beschäftigten Personals“.
Hamburg und Schleswig-Holstein wollen beim Nichtraucherschutz dagegen hart bleiben: Kiels Gesundheitsministerin Gitta Trauernicht (SPD) hat einen Gesetzentwurf ohne Ausnahmen für das kommende Jahr angekündigt – mit Strafen von bis zu 5.000 Euro. Niedersachsens “R“-Regelung soll noch vor der Sommerpause ins Parlament.
Immerhin: Im einstigen Raucherland Spanien haben die neuen Regelungen, die Debatten darüber und auch eine breit angelegte Kampagne der Regierung („Rauchen tötet“) schon zu Ergebnissen geführt: Laut Gesundheitsministerium gaben 750.000 Spanier im vergangenen Jahr das Rauchen auf, der Anteil der Nikotinisten an der Landesbevölkerung fiel von 25,8 auf 23,7 Prozent. „Auf der Straße rauchen hier eigentlich nur noch die Frauen“, sagt Thomas Liebelt. Aber das „hat wohl was mit der Emanzipation zu tun“.
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