: „Die Brache mit Ideen füllen“
UCKERMARK Am Freitag beginnt das Uckermark-Festival für Literatur, Musik und Kunst. Ein Gespräch über die ruppige Schönheit von Land und Leuten, Eulen und avantgardistische Orgelkonzerte in der Dorfkirche
DIMITRI HEGEMANN
INTERVIEW SILKE KETTELHAKE
Wer jung, weiblich, ledig und einigermaßen gut ausgebildet ist, geht. Wer in die Uckermark kommt und sein Glück sucht, sind Berliner. Bereits zum vierten Mal wird vom 5. bis zum 7. September das UM-Festival aus Literatur, Musik und Kunst in Fergitz, Pinnow und Gut Sternhagen stattfinden. Ein Gespräch mit den Initiatoren Ilona Kálkony, Bildhauerin, Thomas Fehlmann, Künstler und Musiker, und Dimitri Hegemann, Tresor-Gründer, über die Faszination für die Uckermark.
taz: Sie stehen als Gruppe für eine bestimmte Stadt- und Clubkultur, warum raus aufs Land?
Dimitri Hegemann: Mein Sohn würde am liebsten mit dem Pferd zur Schule reiten. Er sammelt Wildkräuter und erklärt mir, wie toll Löwenzahn und Brennnessel schmecken. Das Potenzial der Uckermark ist, dass sie jahrelang vergessen war. Eine vergessene Schönheit. Das Schroffe der Uckermärker gefällt mir, sie sind noch ruppiger als die Berliner. Ich mag die Menschen hier.
Thomas Fehlmann: Die Uckermark ist das am dünnsten besiedelte Gebiet Deutschlands. Dorthin zu ziehen hat mich an die Zeit erinnert, als die Mauer fiel, als Berlin plötzlich mit viel leerer Fläche durchsetzt war. Wir haben uns mit einigen anderen drangemacht, diese Brache mit Ideen zu füllen. Das war die Herausforderung, die ich jetzt ähnlich auf Sternhagen Gut erlebe.
Ilona Kálnoky: Hier gibt es kaum Strukturen, es gibt beispielsweise kein Geschäft in unseren Dörfern. Man erlebt die Nachbarschaften sehr unmittelbar. Die Situation hier initiiert ein anderes soziales Verhalten.
Hegemann: Uns eint ein gemeinsamer Geist. Wann die Vögel kommen, wann sie wieder fliegen, das hat mich jahrzehntelang überhaupt nicht interessiert. Berlin war einfach immer spannender. Hier draußen begegne ich nun Phänomenen, von denen ich vorher nicht wusste, dass sie existieren. Etwa durch meinen Nachbarn erschließt sich mir eine völlig neue Welt. Der hat den grünen Daumen, weiß alles da draußen. Er fragt, ob ich schon den Rabenhorst, oben versteckt in den Bäumen, gesehen habe.
Arbeitet es sich draußen anders?
Fehlmann: Dort ist es so ruhig, dass du das Blut in den Ohren rauschen hörst – und welche Musik in dir ist. Lee Scratch Perry arbeitete hier sehr konzentriert mit uns, und die Detroiter Musikfreunde versuchten die Eulen zu imitieren.
Sehen Sie das Festival als Form des Engagements?
Hegemann: Bevor wir das Festival ins Leben riefen, einte uns der Kampf gegen die Schweinemastanlage in Haßleben. Oder der Kampf gegen zu viele Windkrafträder, gegen die Monokultur Maisanbau, die Biogasanlagen. Es ist es gelungen, diese Prozesse teilweise mit Rechtsmitteln zu stoppen. Die Berliner, die dort hinziehen, bringen auch Arbeit für erfahrene UM-Handwerker. Auch das Festival bringt Arbeit mit 800 bis 1.000 Gästen.
Fehlmann: Dass wir da nicht nur auf offene Türen stoßen, ist gut so. Wir wollen kein Häkel-, Schnitz- und Töpferfestival sein. Da muss es Reibung geben, Spannung, sonst läuft was falsch.
Wie waren die Reaktionen in der Bevölkerung?
Kálnoky: Mit spontanem Applaus haben wir nicht gerechnet. Das Festival ist beides: Angebot und Herausforderung.
Wen wollen Sie neben dem Berliner Publikum ansprechen?
Kálnoky: Die Frage ist wirklich, wieso schleppe ich die Kunst da raus. Aber es interessiert uns! Weil die Kunst unser Mittel ist, mit der dortigen Bevölkerung anders ins Gespräch zu kommen.
Fehlmann: Kunst polarisiert und ist zugleich auch scheißegal. Wichtig ist das, was daraus entsteht. Unsere Haushälterin etwa war bei einem avantgardistischen Orgelkonzert in der Sternhagener Kirche, das war für sie eine Offenbarung. Oder die an der Literatur interessierten Supermarktschwestern aus Potzlow, die große Fans von unserem Festival sind. Plötzlich kommen Menschen aus Nachbarorten, die wir noch nie gesehen haben und die dann auch nicht wollen, dass um zwei Uhr die Musik ausgeht. Ob in der Scheune oder im Club, die gute Laune, die wir in Berlin mit unserer Musik entwickeln konnten, die möchten wir übertragen – wir wollen, dass die Augen leuchten.
Wie sehen die Finanzen aus?
Fehlmann: Bisher sind wir immer gerade so davongekommen. Gewinn ist nicht das Ziel. Mit 5 Euro bist du dabei. Das ist ja eher eine symbolische Spende. Zu sehen, wie das wächst und Spuren hinterlässt, das ist unsere Motivation. Der Sonntagnachmittag ist immer der schönste Moment, wenn der Stress abfällt. Ein Mehrwert, den es nirgends zu kaufen gibt.
Das Uckermark-Festival in zwanzig Jahren?
Kálnoky: Dann sind wir diejenigen, die hier als Rentner leben. Und das Festival wird ein selbstverständlicher Teil dieser Gegend sein.