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Archiv-Artikel

Marcellas Ersatzspiel

Zu spät hat das Brücke-Museum nach Provinienz gefragt. Nun wird es 40 Jahre alt

Wer immer in der gerade verdämmerten, langen Berliner Museums-Nacht den weiten Weg ins Brücke-Museum nach Dahlem antrat, der tat es im Bewusstsein, Ernst-Ludwig Kirchners „Berliner Straßenszene“ (1913), das Schlüsselwerk der Künstlergruppe, die dem Museum den Namen gab, dort nicht mehr anzutreffen. Besonders schmerzlich in einem Jahr, in dem das Museum seinen 40. Geburtstag mit einer Ausstellung seiner „Highlights“ feiern will.

Auf der entsprechenden Pressekonferenz wurde freilich deutlich, dass Direktorin Magdalena M. Moeller ebenso wie Lutz von Pufendorf, Vorsitzender des Freundeskreises des Brücke-Museums, noch immer hoffen, das restituierte Bild – inzwischen im Besitz von Ronald S. Lauder – auf juristischem Weg zurückzuerlangen. Entsprechend begrüßte Pufendorf die Einrichtung eines Sonderausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus, der die Rechtmäßigkeit des Restitutionsverfahrens prüfen soll. Ein im Erfurter Angermuseum gefundener Vertrag über den Verkauf der Villa Hess im September 1932 sowie die Ablehnung des überschuldeten Erbes durch Thekla Hess belegen seiner Meinung nach, dass nicht nur das Unternehmen in Schwierigkeiten, sondern auch das private Vermögen der Familie verloren war. Schon vor 1933 habe sie sich über Kunstverkäufe finanzieren müssen.

Dass diese Dokumente erst jetzt öffentlich werden, widerlegt allerdings Pufendorfs Aussage, jedes Kunstwerk im Brücke-Museum sei auf den Punkt genau auf seine Herkunft geprüft worden. Das gelte auch für die Sammlungen Hagemann, Hess und Fischer, ergänzte Magdalena Moeller, die deshalb das Kirchner-Bild nie als gefährdet ansah. Offenbar kamen die Nachforschungen erst jetzt richtig in Gang. Wenig verständlich auch die Klage Pufendorfs, dass die Provenienzforschung in den Händen der Verwaltung liege, die Schuld an der schlecht gemanagten Restitutionspraxis trage. Wer hindert die Museen daran, selbst noch einmal nachzuforschen? Wer hat denn den besten Einblick in die Museumsarchive? Die Museen selbst, wie etwa das Angermuseum in Erfurt? Oder die Stadt- und Landesverwaltungen, beziehungsweise die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg?

Am 15. September jedenfalls wird Kirchners „Artistin Marcella“ von 1910, das Moeller 1995 für fünf Millionen Mark erwarb, das neue Hauptwerk der Highlight-Ausstellung sein. Die Schau davor (25. Mai bis 5. August) ist Karl Schmidt-Rottluff, dem Initiator des Museums gewidmet. Er hatte mit einer Spende von 74 Werken 1964 den Grundstock für die Entstehung des Museums gelegt, das auf die Werke des 1905 unter dem Namen „Die Brücke“ erfolgten deutschen Aufbruchs in die Moderne spezialisiert ist.

BRIGITTE WERNEBURG