Der Wochenendkrimi
: Wo kein Zug mehr hält

„Tatort: Dornröschens Rache“, So., 20.15 Uhr, ARD

Die Espressi der Hauptstadt sind fern. Wer in der Dorfgaststätte von Niederwerbig einen Kaffee bestellt, dem wird eine lauwarme braune Soße aus einer Dreiliterkanne abgezapft. Und wer dann noch nach Süßstoff zu fragen wagt, kriegt zwei Zuckerwürfel in die Hand gedrückt. In dem Kaff in der brandenburgischen Provinz hat sich seit der Wende nichts verändert. Wer konnte, ging fort; der Rest blieb zurück mit den alten Hirschgeweihen an der Kneipenwand.

Nun sind zwei verlorene Kinder heimgekehrt: der Sohn des verstorbenen Bürgermeisters Merten (Steffen Münster), der die Region mit dem Bau einer edlen Golfanlage zu neuem Wohlstand zu führen verspricht und dafür die Grundstücke der Dorfbewohner fordert, und die schwarz gewandete Künstlerin Paula (Anna Thalbach), die ins alte Haus ihrer Familie zieht. Ihre Eltern sind beide gewaltsam aus dem Leben gerissen worden; die Mutter schon vor 20 Jahren, der Vater gerade erst vor ein paar Tagen. Die beiden Morde locken nun auch die Ermittler Ritter (Dominic Raacke) und Stark (Boris Aljinovic) ins verwitterte Ostsoziotop.

Die ungelösten Fälle werden in „Dornröschens Rache“ nur mäßig inspiriert miteinander verzahnt. Gäbe es da nicht eine Reihe von Zufällen und Schlampereien, könnten die Untersuchungen eigentlich schon längst abgeschlossen sein. Aber genau mit diesen erzähltechnisch kalkulierten Verzögerungen geben Christine Hartmann (Regie) und Frauke Hunfeld (Buch) den beiden Kommissaren eben auch die Gelegenheit, in aller Ruhe das Milieu zu besichtigen.

Hartmann und Hunfeld hatten vor zwei Jahren mit „Todesbrücke“ den bislang besten Ritter-und-Stark-„Tatort“ geliefert, damals schickten sie die Ermittler in eine Eigenheimkolonie von Insolvenzverwaltern in den Suburbs von Berlin. Diesmal geht es noch weiter raus aus der Stadt, und statt der Gewinner der jüngeren wirtschaftlichen Entwicklungen werden diesmal die Verlierer ins Visier genommen.

So wird „Dornröschens Rache“ zu einem Ausflug der beiden Hauptstadtkommissare in eine Welt, in der auf beunruhigende Weise die Zeit stillzustehen scheint. Züge verkehren hier schon lange nicht mehr, die Gleise sind längst mit Moos überwuchert, irgendwo am unbetonierten Straßenrand hat jemand das Halteschild einer Bushaltestelle in den Boden gerammt. Ritter und Stark, das passt ins Bild, erkunden das Gelände unmotorisiert. Zwei Damenräder leihen sich die Großstädter, um durch diesen Landstrich nicht unweit von Berlin zu radeln, der schon so lange in einem tiefen und traurigen Schlaf liegt. CHRISTIAN BUSS