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Archiv-Artikel

Der Banker und seine Rebellen

Ihr juristischer Coup gegen den einflussreichen NPD-Strategen Jürgen Rieger hat der thüringischen Kleinstadt Pößneck viel Applaus eingebracht. Doch ähnlich außergewöhnlich ist die Vorgeschichte der Aktion. Denn wo in Deutschland findet man schon Antifa-Plakate im Schaufenster einer Sparkasse?

DER PÖSSNECKER COUP

Mit einem juristischen Vorstoß gegen den vermögenden Neonazi-Anwalt Jürgen Rieger hat die thüringische Kleinstadt Pößneck in der vergangenen Woche bundesweit Schlagzeilen gemacht. Auf Antrag der Stadt entzog das Amtsgericht Jena dem NPD-Politiker zwei bedeutende Immobilien, die Rieger über seine Londoner Briefkastenfirma ersteigert hatte: das Schützenhaus in Pößneck und den „Heisenhof“ im niedersächsischen Dörverden. Der Pößnecker Rechtsanwalt und CDU-Stadtrat Alf-Heinz Borchardt soll die Immobilien und das übrige Vermögen der britischen Firma nun als Verwalter abwickeln. Hintergrund des brisanten Gerichtsbeschlusses ist die Auflösung von Riegers Londoner Firma durch die britischen Behörden. Denn nicht der NPD-Mann selbst war als Eigentümer der Immobilien in Pößneck und Dörverden eingetragen, sondern eine englische GmbH, die „Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Limited“. Weil Rieger es versäumte, einen Geschäftsbericht für diese Firma zu veröffentlichen, wurde sie 2006 von den britischen Behörden gelöscht. Damit war das Schützenhaus nach Ansicht der Pößnecker Stadtverwaltung herrenlos geworden. Den Gerichtsbeschluss kann Rieger beim Landgericht anfechten. Bis gestern sei aber noch keine Beschwerde des NPD-Politikers eingegangen, sagte eine Gerichtssprecherin der taz. AGX

AUS BERLIN UND PÖSSNECK ASTRID GEISLER

Der Fremde war ihm gleich aufgefallen. Nur ahnte Sebastian Klauder damals nicht, was dieser Mann lostreten sollte – in der Stadt und in seinem eigenen Leben. Sebastian rappte auf der Bühne der Diskothek im Schützenhaus, der bärtige Herr um die fünfzig stand unten an der Bar. Der Mann klatschte nicht, er nippte am Bier und schaute zu. Sebastian stutzte: War das nicht dieser reiche Neonazi-Anwalt aus Norddeutschland? Was wollte der hier beim Hiphopkonzert? Aus der Laune des Abends heraus erlaubte sich Sebastian einen Spaß: „Ich hab Stress mit Nazis“, rief er in den Saal, „ gibt’s hier einen guten Anwalt?“ Der Fremde verzog keine Miene. Er leerte sein Bierglas und verschwand.

Heute ist Sebastian Klauder sicher: Der merkwürdige Gast im Schützenhaus war Jürgen Rieger, Anwalt und Immobilienhai – angereist, um in seinem Objekt in der thüringischen Provinz nach dem Rechten zu sehen. Nur hatte damals in der 14.000-Einwohner-Stadt noch keiner begriffen, dass der Rechtsextreme das prächtige Kulturhaus oberhalb des Gymnasiums bereits Monate zuvor ersteigert hatte. Auch der Hobby-Hiphopper Sebastian Klauder nicht.

Zwei Jahre liegt die Begegnung zurück. Inzwischen hat die Kleinstadt ein Exempel gegen den NPD-Anwalt statuiert, das bundesweit Schlagzeilen machte: Vor ein paar Tagen ließ sie dem Rechtsextremen nicht nur die Verfügung über seine Immobilie in Pößneck entziehen, sondern auch über sein wichtigstes Anwesen in Norddeutschland, den „Heisenhof“ in Dörverden.

Doch bemerkenswert am Fall Pößneck ist nicht nur der juristische Coup gegen Jürgen Rieger. Außergewöhnlich ist auch, wie die Stadt eine Gruppe junger Leute unterstützt – ohne deren Initiative das Rathaus womöglich nie so viel Ehrgeiz im juristischen Streit mit Rieger entwickelt hätte. Mit seinem Kumpel Philipp Gliesing, 23, gehört Sebastian Klauder, 24, seit knapp zwei Jahren zu den wichtigsten Köpfen des Aktionsbündnisses Courage (ABC) in Pößneck. Die Initiative gründete sich, nachdem klar war, wer das ehemalige Kulturhaus der Stadt gekauft hatte. Inzwischen wird die Arbeit der jungen Aktivisten weit über Pößneck hinaus bestaunt. Vor ein paar Wochen referierten Gliesing und Klauder sogar auf einer Fachtagung für Lokalpolitiker in Potsdam darüber, wie gut sie seit einiger Zeit mit den Behörden zusammenarbeiten. Denn in Pößneck ist einiges zustande gekommen, was in vielen anderen Städten bis heute undenkbar wäre.

Die Bank zahlt gegen rechts

Falls der Neonazi-Anwalt Rieger wieder einmal in die Kleinstadt reist, dann sollte er eine Runde durch die Fußgängerzone drehen. Dort kann er das kurioseste Sparkassen-Schaufenster der Republik bewundern. Neben Plakaten für die Riester-Rente hängt dort hinter Panzerglas auch Werbung für die nächste Antifa-Demo. Denn auch die örtliche Sparkasse hat im vergangenen Jahr den Wert der Arbeit gegen rechts erkannt, sie hat für die Initiative nicht nur ein Schaufenster geräumt, sondern ihr auch zwei Büros im Bankhaus zur Verfügung gestellt. Wenn nun an einem Sonntagabend im zweiten Stock des Bankhauses das Licht brennt, dann brütet dort nicht etwa der Filialleiter über seinen Bilanzen. Dort residiert seit einigen Monaten das Aktionsbündnis Courage. Gratis. Miete, Computer, Telefon – alles zahlt die Bank. „Kontaktstelle für mehr Demokratie und Zivilcourage“ heißt das Büro offiziell. Profis des örtlichen Bildungswerks betreuen die Arbeit der kleinen Jugendinitiative seit knapp zwei Jahren.

Anfangs hätten die Angestellten „einige Probleme“ mit seiner ungewöhnlichen Idee gehabt, räumt der Sparkassen-Direktor Helmut Schmidt ein. „Einige Mitarbeiter hatten Angst, dass sie selbst Ärger mit den Rechtsextremen kriegen, wenn die Bank hier Farbe bekennt.“ Aber der Banker ließ sich sein Projekt nicht ausreden. „Ich halte es für absolut notwendig, dass sich auch die Wirtschaft deutlich gegen Rechtsextremismus positioniert“, sagt Schmidt. In den 20er- und 30er-Jahren hätten deutsche Unternehmer das nicht getan – und daraus müsse jeder die Lehre ziehen. Nach einem Dreivierteljahr der Zusammenarbeit mit dem Aktionsbündnis ist Schmidt überzeugt: Das Projekt hat sich bewährt. Besonders, sagt er, beeindrucke ihn die „Nachhaltigkeit“, mit der die jungen Leute sich engagierten.

Unterstützt vom Bildungswerk, haben Sebastian Klauder und Philipp Gliesing in den vergangenen zwei Jahren Vortragsabende, Demonstrationen und Konzerte organisiert. Inzwischen besuchen die beiden regelmäßig Schulen in der Region und veranstalten dort Zivilcourage-Workshops. In diesem Jahr will die Initiative „Stolpersteine“ ins Straßenpflaster einlassen, um an die von den Nazis ermordeten Pößnecker Juden zu erinnern. Unterstützt vom Rathaus. „Was die machen“, schwärmt auch Bürgermeister Michael Modde, „das ist wirklich gut.“

So viel Zuspruch fand die Jugendinitiative allerdings nicht vom ersten Tag an. Denn der frühere Rathauschef Michael Roolant (CDU) hatte die Linie vertreten: Bloß keinen Rummel um die Rechtsradikalen. Er fürchtete, das würde dem Image der Stadt schaden. Als die Initiative ein Konzert gegen rechts in die Stadt holen wollte, ließ er die jungen Leute abblitzen. Der parteilose Bürgermeister Michael Modde, damals die Nummer zwei im Rathaus, muss nach Worten suchen, wenn er das erklären soll. Früher habe die Stadtverwaltung das Thema Rechtsextremismus einfach nicht im Blick gehabt. „Die Jugendlichen, die waren für uns Rebellen – Sie wissen schon, Punks. Müslis. Linke Chaoten.“ Er lächelt etwas betreten. „Inzwischen haben wir da alle dazugelernt.“ Inzwischen nämlich ziehen in Pößneck die konservativen Honoratioren mit den Rebellen, Punks und Müslis an einem Strang.

Philipp Gliesing studiert Kulturwissenschaften in Jena, er trägt ein Palästinensertuch um den Hals, einen Haarschnitt, der entfernt an die Irokesentradition erinnert. Doch zum Rebellen taugt der Sohn einer Bürgermeisterfamilie selbst im ländlichen Thüringen nicht. Was der 23-Jährige sagt, klingt kein bisschen aufrührerisch. Anfangs, erzählt er, hätten wirklich einige Punks in dem Aktionsbündnis mitgemacht. „Aber denen war unser Weg zu lasch.“ Denn die Initiative wolle nicht polarisieren, sondern möglichst viele Bürger für ihre Ziele begeistern. „Deshalb haben wir auch an uns gearbeitet“, sagt der Student. Bei öffentlichen Veranstaltungen ziehe er sich bewusst „nicht völlig abgefuckt“ an, die Gruppe bemühe sich um gute Zusammenarbeit mit der Polizei.

Der jüngste juristische Coup der Stadtverwaltung gegen den NPD-Mann Rieger war auch für die Initiative eine Überraschung. Natürlich habe er sich darüber gefreut, sagt Sebastian Klauder. Doch seine Stimme klingt dabei merkwürdig matt. Man muss ihn nicht fragen, warum. Er erklärt es von selbst. „Wir reagieren etwas verhalten. Wir machen uns jetzt einfach auch Sorgen. Wenn Rieger aus dem Schützenhaus fliegt, droht das eigentliche Thema unter den Tisch zu fallen.“ Und das eigentliche Thema – das war für die jungen Leute nie die Immobilie des vermögenden Neonazi-Anwaltes, sondern der Einfluss der Rechtsextremen und ihrer Parolen.

Pößneck kämpft mit Problemen, die viele Kommunen im ländlichen Osten plagen. Die Einwohnerzahl schrumpft. Selbst in der liebevoll herausgeputzten Altstadt stehen Häuser leer. Schon 1992 wurde mit dem VEB Rotasym der wichtigste Betrieb der Stadt plattgemacht, mehr als 13.000 Menschen hatten in dem Wälzlagerwerk gearbeitet. Die Ruinen der Fabrik sind inzwischen gesprengt. Der Bürgermeister versucht, mit der Initiative „Pößneck attraktiver“ etwas für das Image und die Atmosphäre in der Stadt zu tun.

Die schweigende Mittelschicht

Doch die Stimmung in Teilen der Bevölkerung alarmiert nicht nur die Leute vom Aktionsbündnis Courage. Gerade die „ganz breite Mittelschicht“ mache ihm Sorgen, sagt der Landrat. Da würde der evangelische Pfarrer vermutlich zustimmen. Im Streit um das Schützenhaus habe die Mehrheit immer geschwiegen, berichtet Jörg Reichmann. Und die Ausländerfeindlichkeit sei „präsent“ in der Stadt. Offen werde gegen vietnamesische Händler gehetzt, die kleine Gemüseläden in der Fußgängerzone eröffnet hätten.

Frank Hofmann hat im Auftrag des Bildungswerks „Blitz“ vom ersten Tag an die Arbeit des Pößnecker Aktionsbündnisses betreut. Die Stadt dürfe sich auf ihrem juristischen Coup gegen Rieger jetzt „ nicht ausruhen“, warnt er. Immerhin hat sich Pößneck bereits im vergangenen Jahr als eine der ersten Kommunen der Republik erfolgreich um die Teilnahme am neuen Bundesprogramm gegen rechts beworben. Hier, fordert Hofmann, müsse die Stadt nun „neue Landmarken“ setzen.

Zumindest der Pößnecker Sparkassen-Chef scheint von seinem Ehrgeiz nichts eingebüßt zu haben. Im Gegenteil. Schmidt sitzt auch im neuen Ausschuss für den lokalen Aktionsplan gegen rechts, diese Woche hat das Gremium zum ersten Mal getagt. In den Büros der Bank. „Natürlich ist das Grundproblem Rechtsextremismus in keinster Weise beseitigt“, sagt Schmidt. Pößneck habe einen „heilsamen Schock“ erlebt. Aber der Fall Schützenhaus könne sich jederzeit und überall wiederholen. „Und warum“, fragt der Bankchef, „sollte ein erster Erfolg dazu führen, dass man sein Engagement fallenlässt?“