LESERINNENBRIEFE :
I revel in my ignorance
■ betr.: „Extremisten der Mitte“, taz vom 15. 4. 11
Über die Gewichtung der popkulturell-musikalischen Berichterstattung der taz (als grobe Leitlinie zu erkennen, alles, was aus Maschinen kommt, ist cool, der Rest ist was für alte Langweiler) wundere ich mich schon lange nicht mehr. Wie Klaus Walter hier aber das kommerzielle Produkt Lady Gaga mit nicht vorhandener Bedeutung auflädt, grenzt schon ans Satirische. Zu einer „sexualpolitisch massenwirksamen Intervention“ können Musikvideos schon deshalb nicht werden, weil die Mehrheit der Zuschauer diese nach wie vor als Unterhaltungsmedium wahrnehmen dürfte (was auch vollkommen in Ordnung ist), und im ewig gleichen Arschwackel-Kostümfest des derzeit angesagten Pop-Mainstreams gehen die damit angeblich verbundenen Botschaften ohnehin unter.
„Ignorieren geht nicht“? Und ob das geht … I revel in my ignorance! FRANK PÖRSCHKE, Hattingen
Eine Inschrift für Freiligrath
■ betr.: „Alessi für alle“, taz vom 16. 4. 11
Ingo Arend berichtet über das neu zu errichtende Denkmal in Berlin. Dieses soll die goldene Inschrift erhalten: „Wir sind das Volk, wir sind ein Volk“. Gut und schön. Aber man sollte auch die Herkunft der beiden Sätze bedenken und benennen. Ferdinand Freiligrath (1810–1876) – damals auch bekannt als: Trompeter der Demokratie – hat den erstgenannten Satz in seinem berühmten Gedicht: „Trotz alledem – variiert“ 1848 geschrieben, worin er die gescheiterte „Bürgerliche Revolution“ beklagt, aber auch die Gewissheit ausdrückt, dass die Forderungen nach Demokratie und Freiheit einmal erreicht werden. „Wir sind das Volk, die Menschheit wir, / Sind ewig drum, trotz alledem.“ Die Menschen in der DDR kannten den Dichter Freiligrath, er wurde dort noch veröffentlicht. Sie kannten den Satz, schrieben ihn auf Transparente, riefen ihn im Sprechchor, untermauerten damit ihre Forderungen nach Demokratie und Freiheit. Den zweiten Satz: „Wir sind ein Volk“ kreierten sie im Lauf der Demonstrationen und drückten damit ihren Wunsch nach der Vereinigung aus.
Der Verfasser des Artikels irrt, wenn er annimmt, dass die Sätze „schon in allen Geschichtsbüchern stehen“. Den Dichter Freiligrath hatte man im Westen weitgehend vergessen, denn die Feuilletonschreiber fragten sich 2009 – nach 20 Jahren Wiedervereinigung – noch, woher dieser geniale Satz stamme. Bis sie nach langem Suchen auf Freiligrath stießen. In korrekter Form müsste die Inschrift an dem neuen Denkmal auch an den Urheber erinnern. Es wäre schön, wenn so des Dichters gedacht würde. RITA ROSEN, Wiesbaden
An die eigene Nase fassen
■ betr.: „Wie geht es uns, Herr Küppersbusch?“, taz vom 18. 4. 11
Geht es Ihnen noch gut, Herr Küppersbusch? Eine so einseitig-unqualifizierte Aussage über Erzieherinnen und Grundschullehrerinnen zu machen ist mehr als ärgerlich. Ab mit Ihnen auf die Eselsbank. Da können Sie dann mal über Väter und ihre Söhne nachdenken. Und über die „Erziehungsarbeit“, die Väter in ihrer Familie leisten, bevor die Kids dann das „unerfreuliche Matriarchat der Kitas und der Grundschulen durchlaufen müssen“, wie Sie sagen. Machen Sie den ersten Schritt, wenn Sie denken, dass da etwas verändert werden muss: Werden Sie Erzieher! Oder Grundschullehrer! Packen Sie’s an! Oder sich wenigstens an die eigene Nase.
M. TRIESETHAU, Brensbach
Lebensqualität durch Verzicht
■ betr.: „Über Japan sprechen“ von Hilal Sezgin, taz vom 13. 4. 11
Eigentlich ist doch wohl jedem einigermaßen aufgeweckt durchs Leben unserer Gesellschaft gehenden Menschen irgendwie bewusst, dass es ein ständiges Wirtschaftswachstum nicht geben kann. Nach meinem Eindruck lässt sich auch der momentane Wahlerfolg der Grünen mit auf die gern verbreitete Fantasievorstellung zurückführen, es könne auch ein sogenanntes grünes Wachstum geben, niemand müsse Verzicht üben, sondern brauche nur ethisch korrekt konsumieren. Also warum nicht auch weiterhin den monströsen Geländewagen aus deutscher Herstellung fahren, nur eben mit Biodiesel betankt und einem Anti-Atomkraft-Aufkleber versehen? Es wäre gut, wenn wenigstens die Grünen eine klare Linie in der politischen Aussage führten, um deutlich zu machen, dass „Verzicht“ nicht negativ besetzt sein muss, sondern der notwendige Ansatz zur Änderung von Lebens- und Konsumgewohnheiten sein kann mit einem daraus folgenden Gewinn an Lebensqualität – nicht nur individuell, sondern für die Gesellschaft überhaupt. HARALD GARZKE, Hamburg
Deutsche Politik ohne Rückgrat
■ betr.: „1.001 Stühle für die Freiheit“, taz vom 18. 4. 11
Kein Rückgrat – das muss sich die deutsche Politik wieder einmal, diesmal mit Blick auf die Brutaldiktatoren in China, nachsagen lassen. Hat jenes Regime uns bzw. unsere Wirtschaft denn tatsächlich schon so fest finanziell im Griff, dass gegen das tägliche Verhaften, Abtransportieren und Verschwindenlassen von vielen Menschen nichts mehr getan wird? Statt zu kneifen, könnte zum Beispiel doch ein Platz in jener deutschen Kunstausstellung in Peking gefunden werden, die sich Aufklärung auf die Fahnen geschrieben hat: dieser Platz gebührte dem Künstler Ai Weiwei. Dann bräuchte man, Herr Goethe-Präsident, tatsächlich nicht „zurückziehen“, aber es wäre was „gewonnen“! STEFAN ERHARDT, München