: „Am Computer des Täters ansetzen“
BKA-Präsident Jörg Ziercke findet es richtig, dass die Polizei heimlich Computer durchsuchen will. Denn nur so erhalte man die Daten, bevor der Täter sie verschlüsselt hat. Maßnahme komme „nur bei schwersten Straftaten“ zum Einsatz
Die Polizei darf derzeit keine Computer heimlich via Internet „durchsuchen“. Denn der Bundesgerichtshof hat im Februar entschieden, dass dafür eine ausdrückliche gesetzliche Erlaubnis nötig wäre. Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) will deshalb möglichst bald eine gesetzliche Grundlage schaffen. Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) zögert noch. Die Grünen haben heute Polizei- und Datenschutzexperten – unter anderem BKA-Chef Jörg Ziercke – zu einem Fachgespräch eingeladen. Bei einer Online-Durchsuchung wird ein über das Internet manipulierter Computer dazu gebracht, die Daten seiner Festplatte einmalig oder mehrmals an die Polizei zu senden, ohne dass der Besitzer das merkt. Eine gesetzliche Erlaubnis dafür hat bisher nur der Verfassungsschutz des Bundeslands Nordrhein-Westfalen. CHR
taz: Herr Ziercke, Sie diskutieren heute bei einem Gespräch der Grünen mit dem Chaos Computer Club über die heimliche Online-Durchsuchung von Computern. Ein Treffen der besten Hacker der Republik?
Jörg Ziercke: Eine polizeiliche Online-Durchsuchung ist kein Hacking. Hacker nutzen Sicherheitslücken aus, um Computersysteme anzugreifen. Hierbei gehen sie üblicherweise ziellos vor, das heißt tausende PC werden gleichzeitig attackiert in der Hoffnung, dass zumindest einige der Zielsysteme noch nicht über die neuesten Sicherheits-Updates verfügen. Die Online-Durchsuchung ist dagegen ein polizeiliches Werkzeug, das im Einzelfall gegen tatverdächtige Schwerstkriminelle zum Einsatz kommen kann – kontrolliert und hochprofessionell.
Wie wird die Online-Durchsuchung eines Computers dann technisch ablaufen?
Das kann ich natürlich nicht öffentlich erläutern.
Wird die Online-Durchsuchung ein Routineinstrument der Polizei werden?
Die Online-Durchsuchung soll nur in Einzelfällen zur Anwendung kommen. Das ergibt sich schon aus dem hohen Aufwand, den wir selbst betreiben müssen. So müssen wir in jedem Einzelfall eine Umfeldanalyse durchführen, wie wir am besten an den Verdächtigen herankommen. 99,99 Prozent der Menschen in Deutschland werden damit nichts zu tun haben. Eine Schleppnetzfahndung im Internet wird es nicht geben.
Wieso müssen Sie überhaupt einen Computer heimlich via Internet „durchsuchen“? Früher genügte es doch auch, den Computer zu beschlagnahmen oder die Festplatte zu kopieren.
Es ist kein Geheimnis, dass Datenträger, die mittels frei verfügbarer Kryptierungsprogramme verschlüsselt wurden, kaum zuverlässig entschlüsselt werden können. Für eine erfolgreiche Beweisführung müssen wir deshalb vor der Verschlüsselung oder nach der Entschlüsselung ansetzen, also am Computer des Täters. Außerdem werden Daten heute oft sogar ganz in die Weiten des World Wide Web ausgelagert. Sie sind dann auf dem häuslichen PC gar nicht mehr vorhanden. Den „Schlüssel“ zu diesem Versteck findet die Polizei nur durch die Online-Durchsuchung. Offene Maßnahmen sind auch wenig geeignet bei der Bekämpfung von Netzwerken des Terrorismus und der Organisierten Kriminalität. Eine Beschlagnahme würde die noch unerkannten Täter des Netzwerks warnen.
2006 gab es nur zwei Anträge des BKA auf Online-Durchsuchungen, obwohl Sie diese schon damals für zulässig hielten. Spricht das nicht gegen die Relevanz dieser Maßnahme?
Ein einziger terroristischer Anschlag kann hunderte von Menschen töten. Deshalb kann aus einer geringen Anwendungshäufigkeit nicht die Entbehrlichkeit der Maßnahme gefolgert werden. Die Zahlen belegen den verantwortungsvollen Umgang der Ermittlungsbehörden mit diesem Instrument, das nur bei der Bekämpfung schwerster Straftaten zur Anwendung kommen soll, und auch dann nur, wenn alle weiteren Maßnahmen ausgeschöpft sind.
Wie stellen Sie sicher, dass Sie bei der Durchsuchung nicht den besonders geschützten „Kernbereich der privater Lebensgestaltung“ verletzen?
JÖRG ZIERCKE, 59, trat 1967 in den Polizeidienst ein. Seit 2004 ist er Präsident des Bundeskriminalamts (BKA).
Wir können über die Verwendung bestimmter Schlüsselbegriffe steuern, dass ganz private Daten von der Polizei gar nicht zur Kenntnis genommen werden. Im Übrigen stellt sich die Polizei bei Online-Durchsuchungen einer gleich dreifachen Kontrolle: Ein Richter muss die Maßnahme genehmigen, die Staatsanwaltschaft überwacht sie und Datenschutzbeauftragte können sie ebenfalls kontrollieren.
Sie räumen aber ein, dass die heimliche Durchsuchung von privaten Computern eine neue Dimension der staatlichen Überwachung darstellt?
Im Kern geht es nur darum, den von den Schwerstkriminellen bereits vollzogenen digitalen Quantensprung aufzuholen. Diese verlagern ihre Kommunikation konsequent in das Internet.
INTERVIEW: CHRISTIAN RATH