Der Löwe tötet die Ameise

Präsident Kabila hat seinen mächtigsten Gegenspieler Bemba ausgeschaltet. Für Kongos Stabilität verheißt das wenig Gutes

Während in den Straßen Kinshasas noch hunderte Leichen lagen, erhielt Kongos Regierung Schützenhilfe aus Frankreich. Die französische Entwicklungsministerin Brigitte Girardin unterzeichnete am Samstag in Kinshasa mit Kongos Außenminister Mbusa Nyamwisi ein Abkommen über 235 Millionen Euro französische Entwicklungshilfe für die nächsten vier Jahre. Girardin äußerte ihre „Unterstützung für die legitimen Institutionen des Kongo“ und übte keinerlei Kritik an dem Vorgehen der Armee gegen die Kämpfer von Oppositionsführer Bemba. Wie andere Regierungen auch hatte Frankreich während der Gewalt von Donnerstag und Freitag lediglich allgemein zu einem sofortigen Ende der Kämpfe aufgerufen. D.J.

AUS GOMA DOMINIC JOHNSON

Leichen liegen noch auf den Straßen, in den Krankenhäusern der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa stapeln sich die Opfer der blutigen Kämpfe zwischen der Garde von Oppositionsführer Jean-Pierre Bemba und Regierungstruppen. Allein im heruntergekommenen Zentralkrankenhaus „Mama Yemo“ wurden bis Samstag 147 Tote eingeliefert. Die Menschenrechtsorganisation VSV (Voix des Sans-Voix) sprach gestern von insgesamt „mindestens 200“ Toten, Diplomaten von bis zu 250.

Offizielle Mitteilungen sprechen von nur 60 Toten. „Die Armee hat die Ordnung wiederhergestellt“, lautet der Refrain der staatlichen Medien des Kongo. Am Donnerstag hatte sich die Garde des ehemaligen Vizepräsidenten und heutigen Oppositionsführers Jean-Pierre Bemba einem Armeebefehl zur Auflösung widersetzt und das Zentrum der Acht-Millionen-Stadt Kinshasa erobert, bevor die Präsidialgarde und danach die Armee sie am Freitag wieder vertrieb. Seit Samstag beruhigt sich die Lage langsam, einzelne Geschäfte waren wieder geöffnet. Gestern freilich eröffnete der UN-Sender „Radio Okapi“ sein Bulletin so: „Guten Morgen, verehrte Damen und Herren. Über Kinshasa ist die Sonne aufgegangen.“

Nun fragen sich die Bewohner Kinshasas, mehrheitlich Bemba-Anhänger, was dieser Miniaufstand eigentlich bedeuten sollte. „Wir trauern alle“, gibt der Maler Roger Botembe, dessen Wohnviertel Matonge am Freitagnachmittag ebenfalls umkämpft war, die Stimmung wieder. „Bemba hat uns enttäuscht. Jetzt gibt es in diesem Land keine Opposition mehr.“

Vor wenigen Tagen noch war Jean-Pierre Bemba im Kongo einer der mächtigsten Politiker: 42 Prozent hatten bei der Präsidentschaftswahl am 29. Oktober für ihn gestimmt, danach war er der Führer der Opposition im Parlament geworden. Während der Allparteienregierung der Warlords 2003–2006 war er der einzige der vier Vizepräsidenten des Kongo, der dem Staatschef und Wahlsieger Joseph Kabila erfolgreich die Stirn geboten hatte.

Aber jetzt sitzt Bemba als Flüchtling in der südafrikanischen Botschaft in Kinshasa, vom eigenen Land per Haftbefehl wegen Hochverrats gesucht. Sein Mandat als Senator, das ihm Immunität gibt, wird er wohl verlieren und damit seine Stellung als parlamentarischer Oppositionsführer. Seine Residenz am Kongo-Fluss ist in Trümmer geschossen worden. Seine rund 500 Mann starke private Garde existiert nicht mehr. 107 von ihnen haben sich mit ihren Familien in UN-Obhut gegeben, weitere 100 flohen auf das Gelände des anderen früheren Rebellenchefs und Vizepräsidenten Azarias Ruberwa, 44 entkamen per Boot über den Kongo-Fluss in das Nachbarland Kongo-Brazzaville. Der Rest ist vermutlich tot.

Nicht einmal Bembas Sprecher Moise Musangana vermag dahinter eine Strategie erkennen. Er fordert Verhandlungen mit Kabila und weist darauf hin, dass Bemba schon am Donnerstagabend die Einstellung der Kämpfe verlangt habe. Warum haben seine Leute danach aber ihre Offensive weitergeführt? „Sie waren hin- und hergerissen zwischen der Intention, aufzuhören, und der Notwendigkeit, sich in Sicherheit zu bringen.“ Diente die Eroberung des Hafens von Kinshasa und der Luftwaffenbasis Ndolo nicht vielmehr dazu, Verstärkung zu holen? „Das war nur ein Reflex, um den Belagerungsring zu durchbrechen. Wir haben doch gar keine Boote.“ Und was macht die Truppe jetzt? „Es besteht kein Kontakt.“ Augenzeugen berichten von verbreiteten Plünderungen im Stadtzentrum, begangen vor allem von Regierungssoldaten. Die Armeespitze fordert die Kapitulation der verbleibenden Bemba-Kämpfer und verspricht ihnen abwechselnd Posten in der Armee und Anklagen vor Gericht. Aber weder Präsident Kabila noch Premierminister Antoine Gizenga haben sich zu Wort gemeldet. Einzig der Regierungssprecher spricht, und noch öfter die führenden Generäle. Es ist, als habe Kongo eigentlich eine Militärregierung, begleitet von einem kaum sichtbaren zivilen Kabinett.

Das Emblem von Bembas Partei MLC, der „Kongolesische Befreiungsbewegung“, ist die Ameise: fleißig, gut organisiert und zahlreich, Symbol einer disziplinierten Massenpartei. Ganz anders als der Löwe, mit dem sich Kongos Diktatoren normalerweise vergleichen: der macht, was er will, brüllt viel und frisst andere Tiere. Jetzt hat der Löwe die Ameise zertreten. Der vor allem von internationaler Seite geführte Versuch, über Bemba eine funktionierende parlamentarische Opposition für eine funktionierende Demokratie aufzubauen, ist zusammengebrochen.

Für Kongos Stabilität verheißt das wenig Gutes. Während im Osten des Kongo, der 2006 massiv für Kabila stimmte, nach wie vor Kleinkriege toben, mehren sich Unruheherde jetzt auch im Westen des Landes, der für Bemba eintritt. Die westlich an Kinshasa angrenzende Provinz Bas-Congo befindet sich im Aufstand, seit Regierungstruppen Ende Januar Proteste dort mit Gewalt zerschlugen und rund 130 Menschen töteten. Aus der östlich an Kinshasa angrenzende Provinz Bandundu, Hochburg des Premierministers Gizenga, kommt Kritik, dass das Nachbarland Angola elf grenznahe Gemeinden besetzt hat und Kongos Regierung dies in Ordnung findet.

„Die Lage wird sehr instabil bleiben“, warnt in Kinshasa Rämy Massamba, Generalsekretär der größten außerparlamentarischen Oppositionspartei UDPS (Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt). „Die Basis für einen Zusammenhalt des Landes muss erst noch entstehen. Der Wahlprozess des letzten Jahres war schon sehr fragil, daher ist auch sein Ergebnis fragil und man muss es durch Dialog konsolidieren.“