: War ich nicht hübsch?
ENTSCHEIDUNGEN In Maria Müllers Film „Hüllen“ erklären Frauen, warum sie kein Kopftuch wollen – oder doch
VON SUSANNE MESSMER
Man sieht nackte Füße, nackte Hände. Sie dehnt sich, nimmt Schwung und geht auf ihren Gegner zu. Überall Körper, überall Bewegung. Der Mann lenkt sanft ihren Angriff um, es ist Aikido, es wirkt wie Schattenboxen, die Kamera schwenkt sachte mit. Nach einer Weile sagt Emel Zeynelabidin: „Wir haben eine Umkleidekabine. Und in dieser Umkleidekabine kleiden sich alle um, Männer und Frauen gemischt. Ich habe da anfangs natürlich nicht direkt hingeguckt. Aber ich habe es trotzdem gesehen, dass die Männer dort sehr unterschiedliche Geschlechtsteile hatten. Sie gluckst. „Und das fand ich so interessant! Weil ich das ja nicht wusste!“
„Hüllen“, das ist ein Dokumentarfilm der Schweizer Filmemacherin Maria Müller, der noch einmal die einigermaßen bekannte Geschichte von Emel Zeynelabidin nachvollzieht, der Kämpferin für den ersten islamischen Kindergarten in Deutschland und sechsfachen Mutter. Auf dem Höhepunkt des Kopftuchstreits verlässt sie Mann und Kinder, legt das Kopftuch ab und nimmt seither an der Debatte teil, hält Vorträge, publiziert. Es ist aber auch ein Film, der neben vielen Interviews versucht, sich vorsichtig einer neu gewonnenen Körperlichkeit anzunähern.
Emel Zeynelabidin hat den Abschied von Kopftuch und Regelgläubigkeit als Befreiung und Entdeckung der Eigenverantwortung erlebt. Sie spricht davon, wie sie verheiratet wurde, ohne vorher ihr sexuelles Begehren selbst entdeckt zu haben, und wie sie sich dann mit Mitte vierzig verliebte und eine späte Pubertät erlebte. Sie erklärt, wie sie lernen musste, zu berühren und sich berühren zu lassen. Noch mehr als diese Worte überzeugt im Film ihre sinnliche Art, wie sie lacht, wie sie innig ihren Bruder umarmt. Und trotzdem rutscht man nie in die kategorische Ablehnung des Kopftuchs, weil es frauenverachtend sei. Emel Zeynelabidin, die sich noch immer als gläubige Muslimin empfindet, bringt es selbst auf den Punkt. Einmal sagt sie, das Kopftuch sei eine Schande für die deutsche Politik, weil das Verbot Frauen Wege verschließt. Ein andermal sagt sie, das Problem liege bei den muslimischen Männern, die einfach nur sagen müssten, dass sie die Verhüllung nicht mehr brauchen.
„Hüllen“ lässt seinen Heldinnen viel Raum, sich zu erklären. Man könnte es defensiv nennen, konventionell erzählt, der Film wirkt aber auch respektvoll, ja verantwortungsbewusst. So viel Luft die Dargestellten bekommen, so viel Freiheit erhält auch der Betrachter dieses Films, zu sehen ohne zu werten und in Positionen zu rutschen, die den Kopftuchstreit so unlösbar gemacht haben – Positionen, bei denen die Individuen, um die es geht, oft aus dem Blick geraten sind.
Eines dieser Individuen, eine Frau, die ihr Kopftuch mit Stolz trägt, ist übrigens Emels Mutter Sevim, die von der Tochter als distanziert und disziplinierend beschrieben wird. Zunächst gibt sich die alte Dame im Film verschlossen. In einer der stärksten Szenen aber erlaubt sie der Kamera, sie ins Bad zu begleiten. Sie legt das Kopftuch ab und cremt sich sorgfältig das Gesicht ein. Dann zieht sie sich wieder an, kehrt ins Wohnzimmer zurück und hält Bilder von sich als junge Frau in die Kamera. „War ich nicht hübsch?“ Sie erinnert den Walzer, die Tüllkleider, das Istanbuler Hilton Hotel, wo sie oft tanzen ging, bevor sie nach Deutschland musste. Sie lächelt versonnen. Und auch, wenn sie dann gleich wieder ihr strenges Gesicht aufsetzt: Hinter diese Bilder kann der Film – und mit ihm der Zuschauer – nicht zurück.
■ „Hüllen“. Regie: Maria Müller. Dokumentarfilm, Schweiz 2010, 73 Min., ab Donnerstag im fsk-Kino