Mit Blaulicht zur Mathestunde

Bußgeld fürs Schulschwänzen – diese von SPD-Chef Michael Müller geforderte Maßnahme gibt es in Neukölln seit 1999. Der Bezirk lässt notorische Schulschwänzer sogar mit dem Polizeiauto abholen

VON NINA APIN

Auf die 70 Schulen im Bezirk Neukölln gehen rund 30.000 Schüler – zumindest theoretisch. In der Praxis ziehen es viele vor, auszuschlafen oder den ganzen Tag im Kaufhaus zu verbringen statt zur Mathestunde zu gehen. Es gibt Siebtklässler, die nicht richtig lesen und schreiben können, weil sie seit der ersten Klasse nur sporadisch zur Schule gingen. Und es gibt Jugendliche, die nicht verstehen, warum ihnen der Deutschunterricht mehr bringen soll als das Rauchen im Park. Pro Jahr fallen laut Bildungsstadtrat Wolfgang Schimmang im Bezirk rund 1.000 Schulversäumnisse, also geschwänzte Tage, an. Seit 1999 lässt der SPD-Mann die Zahlen erheben, um zu messen, wie erfolgreich sein Kampf gegen das Schwänzen ist.

„Die Situation ist zufriedenstellend“, resümiert er. Bei relativ gleichbleibenden Schülerzahlen sei die Zahl der Schulversäumnisse konstant geblieben, angesichts der zunehmenden Armut im Bezirk ein Erfolg. Der soziale und schulische Brennpunkt Neukölln greift hart durch gegen Schulschwänzer: Bußgelder von bis zu 250 Euro müssen die Eltern zahlen, in besonders schweren Fällen werden Kinder sogar von der Polizei abgeholt und zur Schule gefahren. Damit setzt Neukölln jetzt schon um, was SPD-Fraktionschef Müller vorige Woche für ganz Berlin forderte: Ein „Elternbußgeld“, so die Idee, solle die Kooperation von Schulschwänzereltern mit Schule und Jugendamt erzwingen. Für diesen Vorschlag erntete Müller scharfe Kritik aus der Opposition. Auch aus den eigenen Reihen warf man ihm Populismus und Scharfmacherei vor.

Wolfgang Schimmang versteht den Unmut nicht. „Fürs Falschparken muss man doch auch zahlen, warum denn nicht, wenn das Kind schwänzt?“ In Neukölln habe man mit Bußgeldern und Polizeieskorte gute Erfahrungen gemacht: Von 844 Schulversäumnisanzeigen, die das Bezirksamt im Kalenderjahr 2006 von den Schulen erhalten habe, führten nur 33 zu Polizeieinsätzen. Fünf Euro pro versäumtem Schultag kostet das Schwänzen in Neukölln, beim zweiten Mal bereits 10 Euro. Die Zahlungsaufforderung stieße bei den Eltern auf mehr Resonanz als gut gemeinte Einladungen zu Konfliktgesprächen und Elternabenden, meint Schimmang. Nur 20 Prozent der Angeschriebenen mussten tatsächlich zur Zahlung aufgefordert werden. „Bei den meisten wirkte die bloße Androhung eines Bußgelds und sie erschienen in der Schule. Manche hatten nach einem Umzug nur vergessen, ihre Kinder abzumelden.“

Dennoch werfen manche Eltern die Bußgeldbescheide weg oder klagen dagegen. Dann landen sie beim Amtsgericht – die Bearbeitungszeit beträgt sechs bis neun Monate.

Kritiker des Bußgeldmodells bemängeln, dass es viele Kosten verursache, aber wenig Einsicht bei den Betroffenen zeitige. „Die Erziehung durch Zwang funktioniert nur in Familien, die noch Reste von Bürgerlichkeit aufweisen“ sagt ein Sozialarbeiter. „In Neukölln ist es vielen egal, wenn der Sohn vom Polizeiauto abgeholt wird.“ Auch Özcan Mutlu, bildungspolitischer Sprecher der Grünen, hält wenig davon, soziale Probleme wie Schulschwänzen mit Sanktionen zu bekämpfen. „Wir brauchen mehr Elternbildung und eine engere Zusammenarbeit mit den Schulen, etwa eine SMS vom Lehrer, wenn das Kind nicht in der Schule ankommt.“

Aber auch im Neuköllner Bezirksamt setzt man nicht nur auf Strafe. Stadtrat Schimmang verweist auf zahlreiche „Motivationsangebote“ wie Theater, Musik und Eltern-Kind-Kurse. Erst wenn die Pädagogik versage, greife der Zwang. „Es lohnt sich, um jede Seele zu kämpfen. Denn noch schlimmer als Zwang ist Gleichgültigkeit.“