Umkämpfte Erinnerung

WEIMARER REPUBLIK Sozialdemokratische Kriegsveteranen kämpften mit ihrer Deutung des Krieges gegen den heroischen Nationalismus

Kehrten die Frontsoldaten verroht von den Schlachtfeldern des Ersten Weltkrieges zurück? Ist darin eine wesentliche Ursache für das Scheitern der Weimarer Demokratie zu suchen? Benjamin Ziemann bestreitet das vehement. Die Mehrheit der Kriegsteilnehmer rekrutierte sich aus der Arbeiterschaft, war sozialdemokratisch geprägt und verabscheute den Krieg, so der Historiker an der University of Sheffield.

Der „Reichsbund der Kriegsbeschädigten, Kriegsteilnehmer und Kriegshinterbliebenen“ und das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, die beiden großen Veteranenverbände, gehörten diesem Lager an. An ihrem Beispiel untersucht Ziemann Inhalte, Verarbeitung und Ausdrucksformen persönlicher und kollektiver Kriegserinnerungen. Besonders interessieren ihn die von beiden Verbänden entwickelten performativen Rituale wie etwa Gedenkfeiern für Gefallene. Sie seien „notwendig“ gewesen, „um die Strukturen der partizipativen Demokratie anschaulich und konkret zu machen“. Den Republikanern sei es gelungen, den rechtsgerichteten Verbänden, wie dem „Stahlhelm“, auf diesem Terrain Paroli zu bieten.

Die pazifistische Gesinnung der republikanischen Veteranen speiste sich wesentlich aus Wut und Ohnmachtserfahrung. Als gemeine Soldaten in einer Klassenarmee waren sie der Willkür der adeligen beziehungsweise bürgerlichen Offizierskaste ausgesetzt und fühlten sich als auf die Schlachtbank getriebene Opfer. Das korrupte und ausschweifende Treiben höherer Chargen in der ungefährlichen Etappe hinter der Front erbitterte sie. Nicht zuletzt aus solchen Kreisen rekrutierte sich bezeichnenderweise in den 1920er Jahren das Personal der nationalistischen Verbände. Den Waffenstillstand vom 11. November 1918, eine Folge der militärischen Übermacht der Entente und der Unfähigkeit der eigenen militärischen Führung, empfanden die „Arbeitersoldaten“ als Befreiung vom Joch. Folglich traten sie der Dolchstoßlegende entgegen.

Wenngleich Ziemann das Reichsbanner, mit etwa einer Millionen Mitgliedern der zahlenmäßig stärkste Wehrverband, als eine „der oft vergessenen Erfolgsgeschichten der Weimarer Republik“ einschätzt, übersieht er dessen Widersprüche und Schwächen nicht. Dazu zählt er zum einen den Ausschluss der Frauen und damit ihrer Erfahrungen aus dem Männerbund. Zum anderen habe das Reichsbanner sich gezwungen gesehen, dem militärischen Auftreten der rechtsgerichteten Verbände mit adäquaten Mitteln zu begegnen, etwa in Form von Aufmärschen der eigenen Mitglieder in Uniform. Von der These, auch der Verband habe zur Militarisierung der politischen Kultur beigetragen, will der Autor nichts wissen. Er führt an, viele Mitglieder hätten sich wenig begeistert gezeigt. Dies ändert nichts daran, dass das Reichsbanner so wahrgenommen werden konnte.

Trotz der zahlreichen Aktivposten scheiterte die Weimarer Republik. In Ziemanns Sprachgebrauch taucht der von den vielen Historikern abgelegte Begriff „Machtergreifung“ wieder auf.

ULRICH SCHRÖDER

Benjamin Ziemann: „Veteranen der Republik. Kriegserinnerung und demokratische Politik 1918–1933“. J. H. W. Dietz, Bonn 2014, 381 S., 24,90 Euro