: Wasser am Gesäß
Das deutsche Schwimmteam enttäuscht bei den Weltmeisterschaften in Melbourne mit welker Performance. Wie immer ist das Dilemma hausgemacht. Aber jetzt ist auch noch das Material schuld
AUS MELBOURNE ANDREAS MORBACH
Immer, wenn eigentlich Schlafenszeit ist, wird es unruhig im Hotel Oaks on Market. Dann werden im Melbourner Mannschaftsquartier der deutschen Schwimmer Tränen getrocknet, Kissen gewälzt, Laptops eingeschaltet. Und wenn die Not besonders groß ist, wird morgens um vier auch schon einmal eine SOS-SMS an den Trainer verschickt. Mit seinem elektronischen Hilferuf hatte Mark Warnecke in der Nacht zum Dienstag jedoch kein Glück: weil Heimcoach Horst Melzer die Nachricht seines großen, verzweifelten Schülers zwar hörte, aber „zu faul“ war, um aufzustehen.
Warneckes SMS las er erst morgens um sieben, doch da hatte der Brustschwimmer von der SG Essen bereits eine schlaflose Nacht hinter sich. Abends um elf war der 96-Kilo-Mann ins Bett gestiegen, morgens um halb sieben arbeitete er sich wieder heraus – ohne ein Auge zugemacht zu haben. Ein Desaster im Bett, das sich vier Stunden später im zwei Kilometer entfernten WM-Pool am Yarra River wiederholte. Da musste das 37-jährige Multitalent wie so viele seiner deutschen Kollegen vor ihm frühzeitig die Segel streichen – über 50 Meter Brust, im Vorlauf, als Weltmeister.
Und so unerwartet der Arzt, Diätpulver-Verkäufer und Rennfahrer 2005 seinen WM-Coup in Montreal platziert hatte, so sehr schmerzte ihn nun das Aus in Melbourne. „Es macht natürlich keinen Spaß, Siebzehnter zu werden“, sagte Warnecke, der partout nicht verraten wollte, was ihm in der Nacht zuvor den Schlaf geraubt hatte. Das übernahm sein langjähriger Trainer.
Das Problem, bestätigte Melzer kurz darauf, sei nicht persönlicher, sondern vielmehr textiler Art gewesen. Der von DSV-Ausrüster Adidas geschneiderte Rennanzug raubte Mark Warnecke nächtens die Nerven, verriet der Coach. „Ich habe schon beim Einschwimmen gesehen, dass da hinten am Gesäß Wasser reinrutscht“, erzählte Melzer – als wollte er ein wenig den Disput anfeuern, den sein Schwimmer im November mit dem eigenen Verband ausgetragen hatte. 500.000 Euro Strafe drohte der DSV Warnecke damals an, falls er bei der WM in Melbourne in seinen selbst entwickelten Rennanzug steigen würde.
Der entsprechende Vertrag, in dem der Mediziner die DSV-Bedingungen akzeptieren sollte, ruhte bis kurz vor der WM auf Warneckes Schreibtisch. Irgendwann strich der vielbeschäftigte Mann die sechsstellige Summe in dem Kontrakt dann durch, ersetzte sie durch einen vierstelligen Betrag und schickte den Vertrag an die DSV-Zentrale in Kassel. Zu spät allerdings, als dass Cheftrainer Örjan Madsen das Schriftstück noch zu Gesicht bekommen hätte. Der war da schon unterwegs nach Australien, doch Melzer sagt: „Dass Mark hier im Vorlauf ausgeschieden ist, will ich nicht am Anzug festmachen.“
Zumal Madsen schon nach der Rennanzug-Kritik der Hinterher-Schwimmer Thomas Rupprath und Lars Conrad moniert hatte, dass alle Athleten seit dem Einstieg von Adidas als DSV-Ausrüster am 1. Januar 2006 Verbesserungsvorschläge hätten machen können. Das ist offensichtlich nicht geschehen – auch das ein Grund, warum Melzer den „hoch intelligenten, innovativen Tüftler“ Mark Warnecke, der schon bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul auf dem Startblock stand, nun unter traurigen Umständen aus dem WM-Pool verabschieden musste.
Bei den Deutschen Meisterschaften in zwei Wochen in Berlin und bei den nationalen Kurzbahn-Meisterschaften im November in Essen will Warnecke noch einmal antreten, dann darf sein Trainer endgültig durchatmen. „Es waren 17 turbulente Jahre mit einem sehr aufregenden, interessanten Typ, der seinem Trainer nie die Chance auf den Hauch von Ruhe gegeben hat“, seufzte Horst Melzer, „die Betreuung von 20 Sportlern entspricht einem Mark Warnecke. Eigentlich hat er immer etwas.“
Warnecke selbst erwähnte noch, er sei „nie zu Ruhmeszwecken unterwegs gewesen“. Vielmehr galt: „Ich habe meinen Sport immer aus Spaß gemacht.“ Zum Vergnügen hat er sich während der Deutschen Wintermeisterschaften im November vermutlich auch den Boxkampf seines Freundes Axel Schulz angesehen – am Abend vor seinem Start über 50 Meter Brust, bei dem er dann die WM-Norm verpasste und von Schwimmer-Chef Madsen erst nach einigem Hin und Her zur WM durchgewunken wurde. „Da war er dumm“, urteilte Melzer über den Schwimmer, der nach seinem Ausflug erst um zwei Uhr nachts in Bett gekrabbelt war. Der große Unterschied zu der Nacht von Melbourne: „In Hannover wollte er gar nicht mehr aufstehen.“