Hype und Porno

Schriften zu Zeitschriften: Sperma-„Monopol“ und Romantik-„Texte zur Kunst“

Seit jeher haben Künstlerleben zur Beglaubigung ihrer Werke herhalten müssen. Zuletzt im Fall des 1997 verstorbenen Martin Kippenberger. Um ästhetische Fragen geht es bei seiner Beurteilung schon lange nur mehr am Rande: Die unzähligen anekdotensatten Erzählungen über ihn, fasziniert in Journalen, Sonntagszeitungen und nun auch den Erinnerungen seiner Schwester kolportiert, überformen seine Kunst und machen den Boom erst möglich. Die Story dieses radikalen Lebens ist zu gut – wir haben sie wahrnehmungsverzerrend beim Betrachten seiner Werke immer im Hinterkopf. Und vom Leben der anderen ließ sich immer schon gut träumen: Durch den Kauf eines Kippenbergers holt sich der ordentliche Rechtsanwalt ein bisschen Anarchieaura in die aufgeräumte Wohnung.

Wie Hype funktioniert, kann man in der April-Ausgabe von Monopol studieren. Ariel Levy schildert hautnah das „magische Leuchten des Wahnsinns“: die Exzesse des 25-jährigen New Yorkers Dash Snow, der mit seinen Collagen und Polaroids zum „supercoolen internationalen Morsezeichen“ der Kunstwelt geworden ist. Aus einer Milliardärsfamilie stammend, mit 13 in Jugendstrafanstalten, Drogen, Gefängnis, ein Saddam-Bild auf den Arm tätowiert, ohne Mailadresse und Telefon, gerne auf der Flucht, immer auf Koks, 5-Sterne-Hotelzimmer verwüstend: „genau die Art von radikaler Authentizität, nach der die Kunstwelt so verrückt ist“. In den Worten seiner Künstlerfreunde Ryan McGinley, 29, und Dan Colen, 27: Snow, dem es „um den Niedergang der Menschheit“ ginge, sei „grundsätzlich paranoid“. Das Ziel sei, „berüchtigt zu sein“.

Levys ästhetische Bewertungen fallen hilflos aus (Snow bewirke „ein ganz spezielles, ein prägnantes Gefühl“). Und er gibt zu, dass man die drei Twens dafür hassen kann, „dass sie so besessen von Penissen sind und dem, was aus ihnen herauskommt“. Am Rande erwähnt Levy schließlich, dass Snows Arbeiten oft „als schludrig und belanglos“ kritisiert werden, als „fader Salat aus Dada und Psychedelia plus Spermadressing“. Von dessen Qualitäten kann man sich ab dem 27. April in der Berliner Galerie Contemporary Fine Arts in Dash Snows erster deutscher Ausstellung überzeugen.

Zwei parallele Trends kann man in den beiden jüngsten Ausgaben der Zeitschrift Texte zur Kunst verfolgen, die vielleicht auch Dash Snow verständlicher machen: Porno und Romantik. Schon die Aneinanderreihung dieser Themenhefte verspricht Stimulanzerlebnisse. Diedrich Diederichsen durchschaut die Allianzen aus Gegenkultur und Pornografie in den zurückliegenden Jahrzehnten und erkennt die subversiven Potenziale im Indie-Porno. Tim Stüttgens 10-Punkte-Manifest verweist auf das terminologische Durcheinander in aktuellen Postporno-Debatten und glaubt dennoch, dass man sich in diesem Diskurs von der „binären Hetero-Machtlogik emanzipiert“ hätte. Die Arbeiten von Larry Clark, Heimo Zobernig, Annie Sprinkle werden untersucht, unterschiedliche Genres – Filme, Internet, Malerei und Plastik – beobachtet. „Why porn now?“, lautet schließlich die Umfrage, die Barbara Vinken, MÄRZ-Verleger Jörg Schröder und andere mal theoretisch ambitioniert, mal offenherzig persönlich beantworten.

Das „Romantik“-Heft sucht hingegen die großen Gefühle in der Gegenwartskunst, deren Wiederkehr ebenso offenkundig wie irritierend sei: Die von Jörg Heiser angestoßene Debatte um „Romantic Conceptualism“ ist der Ausgangspunkt für ein Texte zur Kunst-typisches, vor sich hin mäanderndes Gespräch zwischen Jan Verwoert, Felix Ensslin, Jörg Heiser, André Rottmann und Juliane Rebentisch, für Aufsätze über Sehnsüchte und Affekte, narrative Emotionen. Der Soziologe Alain Ehrenberg („Das erschöpfte Selbst“) entdeckt im Gefühl „depressiven Ungenügens“ das Hauptkennzeichen unserer Moderne. Solche Fragilität jenseits aller Sex-Gefühl-Renaissancen ist der ewige Stofflieferant für die künstlerische Parallelexistenz von Revolte und Melancholie. ALEXANDER CAMMANN

Monopol, April 2007, 7,50 Euro, www.monopol-magazin.de; Texte zur Kunst, Heft 64 (Dezember 2006): „Porno“, Heft 65 (März 2007): „Romantik“, je 14 Euro, www.textezurkunst.de