piwik no script img

Archiv-Artikel

„Dynamische Momente“

DISKUSSION Der Islam ist ein fester Bestandteil der deutschen Gesellschaft und das hat Auswirkungen

Von AGDAK
Ursula Günther

■ 50, die Islamwissenschaftlerin ist Professorin für Religionswissenschaftlerin an der Universität Göttingen

taz: Frau Günther, wieso haben Sie eine Veranstaltung mit dem Titel „Gibt es einen europäischen Islam“ organisiert?

Ursula Günther: Weil genau diese Frage viele Menschen beschäftigt – Muslime wie Nicht-Muslime. Für uns bietet sie einen guten Rahmen für die Diskussion darüber, wie sich Kontext und Religion wechselseitig beeinflussen und was dies konkret für in Europa beziehungsweise in Deutschland lebende Muslime bedeuten kann.

Was meinen Sie mit „Kontext“?

Dabei geht es sowohl um die gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen als auch um die aktuelle Glaubenspraxis, also um die Herausforderungen und Notwendigkeiten für Gläubige in einer säkularen Gesellschaft und um die gegenseitige Beeinflussung – auch im Sinne einer Bereicherung.

Das müssen Sie erklären.

Es geht darum, dass in einer pluralen Gesellschaft mehrere Referenzsysteme – nicht nur kultureller oder sprachlicher Art – gleichzeitig existieren und auf sie Bezug genommen werden kann. Es geht also um die Auseinandersetzung mit dem religiös anderen, unter anderem auch mit dem Areligiösen oder dem Säkularen. Und es geht natürlich um die Frage, ob ein veränderter Kontext auch veränderte Zugänge zu Religion oder zur Wissensproduktion und Bedeutungszusammenhängen bewirkt und welche Auswirkungen dies wiederum auf die jeweilige Gesellschaft hat.

Es heißt doch immer, „den“ Islam gibt es nicht. Wie kann es dann einen europäischen Islam geben?

Ob es einen solchen gibt und wie er konkret aussieht oder ob es ein Konstrukt ist, das wieder einmal mehr dazu dient, die sogenannten guten Muslime von den bösen zu unterscheiden oder ob man eine ganz andere Perspektive auf einen europäischen Islam einnehmen kann, soll in unserer Veranstaltung diskutiert werden.

An was für eine andere Perspektive denken Sie da?

Ein Ansatz wäre, von kontextualisiertem Islam zu sprechen. Dieser Begriff macht deutlich, dass es sich nicht um eine einseitige Bewegung handelt, sondern um eine Dynamik, die mit Prozessen einhergeht, die sich auf die gesamte Gesellschaft auswirken. Solch dynamische Momente wohnen jeder Religion zu jeder Zeit inne. Der Islam kann auf eine reiche Geschichte an Erfahrung von Kontextualisierung zurückblicken.  INTERVIEW: AGDAK

Diskussion „Gibt es einen europäischen Islam?“: 19 Uhr, Katholische Akademie, Herrengraben 4