Kein Platz fürs Heute

Nachdem Heiner Bastian die Staatlichen Museen zu Berlin kritisierte, droht Erich Marx, seine Sammlung abzuziehen

Das Interview in der Zeitschrift Monopol, mit dem Heiner Bastian, der Treuhänder der Sammlung Marx, seinen Rückzug als Kurator im Hamburger Bahnhof publizistisch munitionierte, sorgt weiter für Aufregung. „Es herrscht großes Elend in der Berliner Museumspolitik. Der Hamburger Bahnhof für Gegenwartskunst ist zum toten Gleis geworden“, hatte Bastian die Staatlichen Museen zu Berlin und ihren Direktor Peter-Klaus Schuster wie die Stiftung Preußischer Kulturbesitz und deren Chef Klaus-Dieter Lehmann kritisiert. Er wolle „mit diesem Museum nicht mehr identifiziert werden“, so Bastian. Die Kritisierten reagierten vergrätzt. Lehmann sah bei Bastian „verletzte Eitelkeit“ sowie „Selbstüberschätzung“.

Die Auseinandersetzung ist überfällig, bedenkt man die aufschlussreichen Details, die nun publik werden. Bereits im Oktober 2004 habe er gemeinsam mit Schuster eine „einvernehmliche Abmachung“ mit ihm und Erich Marx getroffen, antwortete Lehmann auf Bastians Vorwürfe, „in der die Unabhängigkeit der kunsthistorischen Ausrichtung durch die Leitung und die dafür von den Staatlichen Museen bestellten Kuratoren des Hamburger Bahnhofs gewährleistet wird.“ Richtig gelesen heißt das, dass bis 2004 diese Unabhängigkeit nicht gegeben war.

Es ist nun nicht so, dass dies bis dato keinem aufgefallen wäre. Sprach man die Situation allerdings an, war natürlich alles in bester Ordnung. Daher ist nun die Erklärung des Vorsitzenden der Freunde der Nationalgalerie, Peter Raue, besonders interessant. Er schreibt: „Heiner Bastian, der Kunsthändler in der Nationalgalerie: Warum sieht niemand diese Gefahr?“ Ja, warum sah, besser durfte man diese Gefahr bis heute nicht sehen? Eine Verteidigung von Schuster und Lehmann ist diese völlig zu Recht gestellte Frage allerdings nicht. Warum gibt es, wie Raue schreibt, „eine (mir im einzelnen unbekannte) Bindung“ der Sammlung an den Hamburger Bahnhof „erst seit einem halben Jahr“? Warum war „die Sammlung Marx zehn Jahre im Hamburger Bahnhof ausgestellt, ohne dass es irgendeine rechtliche Bindung des Herrn Dr. Marx gegeben hat“, wie Raue anmerkt? Um in Klammern hinterherzuschieben: „Deswegen konnte Herr Dr. Marx mit Hilfe von Heiner Bastian auch munter einige der wichtigsten Werke der Sammlung verkaufen!“ Am unverständlichsten freilich ist, warum Peter Raue glaubt, ausgerechnet dieser unsägliche Tatbestand könne jetzt den Skandalvorwurf von Heiner Bastian hinsichtlich eines analogen Vertrags mit Friedrich Christian Flick entkräften? Bastian wird am besten wissen, von welchem Skandal er ein Jahrzehnt lang profitierte.

Was der im Einzelnen unbekannte Vertrag zwischen Marx und den staatlichen Institutionen taugt, wird sich über kurz oder lang herausstellen. Denn schon hat sich Erich Marx auf die Seite seines Kurators gestellt und bekundet, dass er seine Kunstsammlung aus dem Hamburger Bahnhof zurückziehen will, „am liebsten sofort“. Es ist also denkbar, dass die Staatlichen Museen nichts gegen einen einseitigen Ausstieg des Sammlers unternehmen können. Seine Sammlung, klagt Marx, bilde nicht mehr den „Kern des Museums“; er habe das Gefühl, „nur noch geduldet zu sein“. Wen wundert es, dass das „Sammeln von Sammlern“ so endet? Nur Schuster sah in dieser Strategie, dem mangelnden Ankaufs- und Ausstellungsetat der Museen zu begegnen, einen genialen Schachzug.

Auch wenn es zunächst strukturelle Gründe sind, die Berlins Standing in Hinblick auf die Gegenwartskunst schwächen, wie etwa der Wiederaufbau der Museumsinsel, der alle finanziellen und intellektuellen Ressourcen beansprucht, oder das Fehlen einer Kunsthalle, für die die angesprochenen Institutionen keineswegs in die Pflicht genommen werden können: Die Antwort der Institutionen auf die Malaise war trotzdem schon immer falsch. Tatsächlich fehlt ja nicht nur den Museen, dem Staat und der Stadt das Geld. Erich Marx fehlt es auch. Deshalb mussten ihm die Museen ihre eigenen Bilder abkaufen, deshalb kann er den fehlenden zweiten Flügel des Hamburger Bahnhofs nicht bauen, die nötige Ausstellungsfläche für zeitgenössische Kunst. (Die es natürlich auch dann geben wird, wenn Marx wirklich geht.) Wem das Geld jedenfalls nicht fehlt, ist Heiner Bastian. Er lässt sich gerade von David Chipperfield gegenüber der Museumsinsel ein Galeriehaus bauen. Er braucht die Staatlichen Museen nicht mehr. Nicht unwahrscheinlich, dass sich ein solcher Vorgang wiederholt, wenn der Vertrag mit der Sammlung Flick in fünf Jahren ausläuft.

BRIGITTE WERNEBURG