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Archiv-Artikel

In Bagdad sinkt die Zahl der Morde

Neuer Sicherheitsplan greift in der Hauptstadt Iraks, in den Regionen nehmen Anschläge und Attentate aber zu

In Bagdad sind zurzeit 90.000 irakische Sicherheitskräfte und US-Soldaten im Einsatz

SULEIMANIYA taz ■ In der nordirakischen Stadt Tell Afar haben schiitische Milizionäre und Polizisten nach einem verheerenden Bombenanschlag eine regelrechte Hetzjagd auf die Sunniten verübt. Nach Angaben von Politikern und Sicherheitskräften fielen den Fememorden in der Nacht auf Mittwoch 45 sunnitische Männer zum Opfer. Ein Sprecher der Front der irakischen Turkmenen sprach von 60 Todesopfern.

Das westlich von Mossul gelegene Tell Afar ist eine mehrheitlich turkmenische Stadt, wobei sich Schiiten und Sunniten in etwa die Waage halten. Am Dienstagabend hatten zwei Bombenanschläge nach Polizeiangaben 55 Tote und 180 Verletzte gefordert, unter ihnen zahlreiche Schiiten. Für die Anschläge hat die Terrorgruppe al-Qaida im Irak die Verantwortung übernommen.

Im Irak sind die Fememorde ein weiteres Indiz dafür, dass sich die Gewalt von Bagdad aus in andere Regionen verlagert. Im Rahmen des neuen Sicherheitsplans, der seit Mitte Februar umgesetzt wird, sind in der Hauptstadt rund 90.000 irakische Sicherheitskräfte und amerikanische Soldaten im Einsatz. Die US-Truppen sollen insgesamt um bis zu 30.000 Soldaten verstärkt werden, in Bagdad sind bisher drei der fünf zusätzlichen Bataillone eingetroffen. Sie durchkämmen Stadtteil für Stadtteil, um sunnitische und schiitische Extremisten dingfest zu machen. Laut dem US-Militär haben die Gewalttaten in der Hauptstadt seit Beginn der Offensive um 25 Prozent abgenommen, hunderte mutmaßliche Extremisten wurden festgenommen. Vor allem gibt es weniger Fememorde, die in erster Linie der schiitischen Sadr-Miliz angelastet werden. Fürs Erste haben die Milizionäre ihre Waffen zur Seite gelegt und halten sich bedeckt. In schiitischen Quartieren, besonders in Sadr City, geht das Leben beinahe seinen gewohnten Gang. Viele sunnitische Quartiere wirken dagegen fast wie Geisterstädte – selbst am helllichten Tag sind vor den meisten Geschäften die Rollläden heruntergelassen, und in vielen Gegenden türmt sich der Müll.

Zwar hat sich die Lage in Bagdad leicht gebessert, doch warnen US-Kommandeure vor Optimismus. Nur eine Eindämmung der Extremisten im Gürtel um die Hauptstadt könne einen Durchbruch bringen. Dort versuchen sunnitische Extremisten, die Schiiten zu Racheakten wie jetzt in Tell Afar zu provozieren. Niemand vermag zu sagen, wie lange die schiitischen Milizionäre stillhalten.

INGA ROGG