: Rechtsrocker wollen nicht singen
AUS DORTMUND HOLGER PAULER
Das Fax ans Amtsgericht kam um acht Uhr 35. Joachim Eggeling, einer von drei Angeklagten im Dortmunder Prozess gegen die Neonaziband „Weisse Wölfe“, liege mit einer Magen-Darm-Grippe im Bett und könne nicht vor Gericht erscheinen, hieß es da. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des behandelnden Arztes liege vor, sagt Amtsrichter Weiß leicht genervt. Kurz darauf ruft er ironisch in die Runde: „Ich bin hellauf begeistert! Wie gehen wir jetzt mit dieser seltsamen Situation um?“
Rechtsanwalt Andre Picker, der Verteidiger des anwesenden „Weisse Wölfe“-Sängers Stjepan Jus, verlangt umgehend eine Vertagung des Prozesses. Die Staatsanwältin stimmt dem Antrag missmutig zu, da sie die Aussage des abwesenden Joachim Eggeling als notwendig ansieht. Es ist die dritte Vertagung seit Oktober 2005. Dem rechtsextremen Musikertrio aus NRW wird Volksverhetzung sowie die Verbreitung von ausländerfeindlichen Schriften vorgeworfen. Grundlage ist laut Staatsanwaltschaft ein im Jahr 2002 in Dänemark hergestelltes Video, das für den deutschen Markt vorgesehen war.
Der Schlagzeuger der „Weissen Wölfe“ habe gegenüber dem Staatsschutz als einziger eine Aussage zum Sachverhalt gemacht, heißt es in der Anklagebegründung. „Ihm kommt in dem Prozess eine Schlüsselrolle zu“, sagt die Sprecherin der Dortmunder Staatsanwaltschaft, Ina Holznagel. Die anderen beiden Angeklagten – neben Jus steht noch der Bassist der „Weissen Wölfe“ und gleichzeitige Sänger der Dortmunder Neonaziband „Oidoxie“, Marko Gottschalk, unter Anklage – schwiegen bislang zu den Vorwürfen. In welchem Verhältnis Eggeling zu seinen Bandkollegen steht, mochte Ina Holznagel nicht sagen. Immerhin zeigten sich Jus und Gottschalk von der Krankheit ihres (ehemaligen) Schlagzeugers ebenso überrascht wie alle übrigen Anwesenden.
Durch das Attest fiel auch der überraschend angekündigte Auftritt des V-Manns Preuß aus. Der Mitarbeiter des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes hatte vom Innenministerium kurzfristig die Erlaubnis zur Aussage bekommen. „Der Zeuge Preuß ist zur Aussage bereit, aber er wartet im Nebenzimmer“, verkündet Amtsrichter Weiß. Seine Aussage werde er aber nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit machen. Die Prozessaufnahme im Dezember vergangenen Jahres scheiterte unter anderem daran, dass V-Mann Preuß einen Maulkorb verpasst bekam. Entscheidend werde nun sein, zu beweisen, dass die Musik für den deutschen Markt produziert wurde, sagt Holznagel.
Im Fall der „Weissen Wölfe“ ist es kompliziert. Es geht um Videos und CDs, die 2002 in Kopenhagen aufgenommen wurden. Inhalt und Aufmachung verstoßen eindeutig gegen deutsche Strafgesetze. Auf dem Cover der CD „Weisse Wut“ posieren die vermummten Bandmitglieder vor der Flagge der verbotenen Neonazipartei FAP. Das Lied „Unsere Antwort“ hat eindeutig volksverhetzenden und gewaltverherrlichenden Charakter: „Es gibt nur eine Lösung für diese Figuren. Ins Arbeitslager, da müssen sie spuren. ... Unsere Antwort: Zyklon B.“ Oder: „Wartet, ihr Brüder, jetzt kommt die Rache: Juda verrecke und Deutschland erwache. ... Für unser Fest ist nichts zu teuer: 10.000 Juden für ein Freudenfeuer.“
Trotz der eindeutigen Hinweise auf die Gesinnung der Angeklagten ist es bislang nur wenigen Gerichten gelungen, Mitglieder der Rechtsrock-Szene zu verurteilen. So wurde der Sänger der verbotenen Band „Landser“, Michael Regener, im Jahr 2004 nach zwei Jahren Verhandlung zu einer Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt. Regener trat die Strafe im Frühjahr 2005 an. „Die Strafe ist für die Rechtsrock-Szene bis heute einzigartig“, sagt Christian Dornbusch, Autor zahlreicher Bücher über die Szene.
„Strafrechtlich Relevantes gegen diese Bands in die Hand zu bekommen, ist unglaublich schwierig“, sagt Ina Holznagel. Das Problem: Viele Konzerte finden im benachbarten Ausland statt, wo etwa der Hitlergruß oder das Zeigen nationalsozialistischer Symbole nicht geahndet werden. Der Vertrieb von Tonträgern erfolgt oft über das Internet – ebenfalls unangreifbar aus dem Ausland. Liedtexte werden von Anwälten aus der rechtsradikalen Szene zunehmend vorab auf justiziable Inhalte geprüft. Und Konzerte lassen sich durch die Mundpropaganda von der Polizei nur schwer infiltrieren.
Die Gefahr besteht vor allem in der zunehmenden Vernetzung zwischen Musikszene und militanten, politisch aktiven Neonazis. Dieser Trend gelte auch für NRW, sagt Autor Dornbusch. Bands wie „Sturmwehr“ (Gelsenkirchen), „Division Germania“ (Mönchengladbach) oder „Barking Dogs“ (Krefeld/Düsseldorf) sind Anziehungspunkte für militante Neonazis. Andere stünden der NPD nah. Seit 1993 sollen mehr als 100.000 CDs der Neonazi-Band „Störkraft“ verkauft worden sein. Mittlerweile gibt es bundesweit mehr als 70 Vertriebe für Neonazimusik. Knapp 400 Bands wurden in den vergangenen zehn Jahren gezählt.
„Oidoxie“ und „Weisse Wölfe“ gehören zum Umfeld der „Freien Kameradschaften“. Eine Tatsache, die auch beim Prozesstermin deutlich wird. Zehn Kameraden und eine Kameradin haben Joachim Eggeling, Stjepan Jus und Marko Gottschalk in den Saal des Dortmunder Amtsgerichts begleitet, teils kahl geschoren, teils im nachgemachten Autonomen-Outfit mit Kapuzenjacke und schwarzroten T-Shirts. Stjepan Jus trägt eine Bomberjacke mit der Aufschrift: „Wer nicht für uns ist ist gegen uns“. Wenn das George W. Bush wüsste. Auf der Vorderseite prangt das Logo der Neonaziband „Oidoxie“, ergänzt um die Zahlen „88“; die „88“ gilt in der Neonaziszene als Abkürzung des Nazi-Grußes „Heil Hitler“. Der achte Buchstabe des Alphabets gilt in der extremen Rechten als „heilig“.
Die Anwälte der Rechtsrocker scheinen sich am Outfit ihrer Mandanten nicht zu stören. Aus Gewohnheit und vielleicht auch aus Überzeugung? Der Dortmunder Andre Picker, Verteidiger von Stjepan Jus, ist in der rechten Szene jedenfalls kein Unbekannter. Er trat in der Vergangenheit als Verteidiger zahlreicher Vertreter der extremen Rechten von den „Republikanern“ bis zu Mitgliedern der neonazistischen „freien Kameradschaften“ auf. Anfang Januar nahm er am Neujahrsempfang der rechtsextremen „Bürgerbewegung Pro Köln“ teil. Dort traf er auch auf den Düsseldorfer Rechtsanwalt Björn Clemens. Der ehemalige stellvertretende NRW-Landesvorsitzende der „Republikaner“ verteidigt „Weisse Wölfe“-Mitglied Marko Gottschalk. Anfang des Jahres trat Clemens aus der Partei aus, weil diese sich unter anderem einer Öffnung gegenüber der NPD verweigerte. Im Prozess wächst nun endlich zusammen, was zusammen gehört.
„Ich hoffe, dass wir die Geschichte irgendwann endlich mal durchziehen“, sagt Richter Weiß. Viel Zeit bleibe ja nicht mehr. „In einem Jahr bin ich in Rente.“ Lachen möchte über diesen Witz eigentlich niemand. Abgesehen vom Geleitschutz der Rechtsrocker. Sie nehmen die erneute Vertagung mit einem Grinsen zur Kenntnis. Die Schonfrist ihrer Lieblingsmusiker ist mal wieder verlängert worden.