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Archiv-Artikel

Schlachtabfall im Land des Gemetzels

AUSSTELLUNG Zum Weltkriegsjubiläum zeigt das Sprengel-Museum in Hannover Bilder vom Krieg

VON JENS FISCHER

Es ist wieder Krieg. Gleich nebenan. Klar, Ehekrieg ist immer – und immer unterhaltsam. Da ist man voyeuristisch gern dabei, mit dem Ohr beim Nachbarn, auch im Kino, Theater, in Klatschspalten, um nicht selbst mittendrin zu sein. Aber auch von den gerade machtgeil aus nationalistischen, religiösen, ökonomischen Motiven geführten Kriegen möchten Zuschauer meist nicht mehr sehen und hören, als Nachrichtenreporter zeigen und sagen.

Birgit Heins versinnlicht das in der aktuellen Ausstellung „Schlachtfelder“ im hannöverschen Sprengel Museum mit „Kriegsbilder“ (2006), einer Video-Collage aus TV-Berichten von den Fronten massenmörderischen Irrsinns. Aparte Feuerwerkerei, unbekannte Flugobjekte, ästhetisch reizvolle Explosionen sind zu sehen, Menschen auf den Bildern jedoch nicht zu entdecken – propagandistisch abstrahierte, gereinigte „Schlachtfelder“.

So betitelt ist Hannovers Beitrag zu den Gedenkausstellungen 100 Jahre nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Das Sprengel-Museum präsentiert 112 Werke aus den Beständen der eigenen Sammlung, die das Phänomen Krieg vielschichtig aufreißen, Assoziationsräume öffnen, Wesen und Folgen der Gewalt zeigen sollen. Mit ihrer sinnfälligen Dramaturgie gelingt das bestens.

Die auf Grafiken spezialisierte Kuratorin Karin Orchard stimmt die Besucher ein mit Verweisen auf die Ursünde menschlicher Kriege, Kains Brudermord. Es folgen Darstellungen aus diversen Epochen von blinder Aggression, explodierender Gewalt, rasender Wut, rauschhaftem Kampf.

Bernhard Heisig zeichnete 1965 den idealen Soldaten, eine gut geölte Terminator-Maschine, während Agenore Fabbri „Kriegsmonster“ gleichzeitig als gruselige Schreckensverbreiter wie als geschundene, verbrannte Opfer inszenierte.

Menschen verschmelzen als Schlachtabfall mit der Landschaft des Gemetzels. Das gestaltete Käthe Kollwitz in ihrer Auseinandersetzung mit den Bauernkriegen. Ihre Bilder sind nah dran bis mittendrin und einer FSK-Freigabe ab 18 Jahren würdig. Unangenehm muss solche Kunst sein, die für das Event archaischer Schlacht-Arien unter unseresgleichen mehr als nur intellektuell empfänglich machen will.

Kollwitz’ Ahnungen vom Beginn des 20. Jahrhunderts konkretisiert der Soldat Otto Dix durch seine Erfahrungen. Mit der Vision sah er den Ersten Weltkrieg kommen: Aus einer zerstörten alten Welt könnte eine geistig neue Epoche hervorgehen – die realen Erfahrungen aber führten zur Katharsis.

Dix will sein Trauma bearbeiten, dem Schrecken der Grabenkämpfe mit seinen Werken gerecht werden, aufklären und eine Haltung provozieren. Da die Millionen Toten auf dem monumentalsten Schlachtengemälde keinen Platz mehr finden würden, zoomt der Künstler heran: düstere Momentaufnahmen, finstere Impressionen, brutal expressive Porträts.

Dix zeigt einen Soldaten, der vor einem verwesenden Kameraden sein Dosenfutter verspeist. Dix fokussiert Einschusswunden einer Leiche, der die Zunge wie frisch erbrochen heraushängt. Soldaten stürmen in einer Kaltnadelradierung durch giftgasig benebelte Schlammwüsten, von Hunger ausgemergelt. Granaten-Krater sehen aus wie eine postapokalyptische Landschaft.

Daneben zu sehen sind symbolische Werke mit Totentänzen und dem Tod höchstselbst, dessen Personifikationen mit nackten Frauenkörpern anbändeln.

Ebenso psychoanalytisch zu deuten ist Alfred Kubins „Todessehnsucht“ (1903). Mit „Der große Räuber“ malt Otto Gleichmann 1936 den Ritter Hitler. Gegenübergestellt werden Picassos Friedenstaube, Carl Frederik Reuterswärds Zeichnung einer Pistole mit verknotetem Lauf und George-Grosz-Karikaturen: Jesus trägt Gasmaske und die Ausgießung des Heiligen Geists geschieht in Form von MG-Salven.

Final führt die Ausstellung zu einem Werk der US-Konzeptkünstlerin Jenny Holzer. Auf handgeschöpfte Papierbögen druckte sie 2012 einige geschwärzte US-Geheimdienstberichte über die im Irakkrieg angewendete Foltermethode Waterboarding. Besucher haben nach dem Ausstellungsrundgang vermutlich genug eigene Bilder und Gedanken zum Thema Krieg im Kopf, um auf den tiefschwarzen Flächen hinter Glas mehr zu sehen als nur ihr eigenes gespiegeltes Antlitz.

Bis 28. September, Sprengel Museum, Hannover