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Archiv-Artikel

Dialektik der schöpferischen Erneuerung

KUNST Die Kunst-Biennale im südkoreanischen Gwangju ist umstritten, ein Zensurvorwurf schwebt über der Vorzeigeinstitution

Eine schwer durchschaubare Koalition verbannte ein Bild des Künstlers Hong Song-dam

VON INGO AREND

Männer und Frauen in weißen Kleidern und schwarzen Augenbinden ziehen über einen öffentlichen Platz. Sie tragen dunkel verhüllte Kartons mit den Gebeinen ihrer Angehörigen. Stumm deponieren sie die sterblichen Überreste in zwei rostigen Stahlcontainern in der Mitte des Platzes. Aus zwei riesigen Verbrennungsöfen daneben quillt pechschwarzer Rauch.

An jedem anderen Ort wäre eine solche Szenerie als pietätloses Spektakel verdammt worden. Doch im südkoreanischen Gwangju ging die Kunst-Rechnung auf. „Navigation“ hatte die südkoreanische Künstlerin Minouk Lim ihre Performance genannt, die vergangenen Freitag die 10. Gwangju-Biennale eröffnete. Direkt vor der zentralen Ausstellungshalle von Asiens ältester und wichtigster Kunstbiennale begingen die Überlebenden zweier traumatischer Ereignisse der südkoreanischen Geschichte ein symbolisches Leichenbegängnis.

Die Überlebenden der Massaker von Jinju und Gyeongsan zu Beginn des Koreakrieges 1950 trafen auf die „May Mothers“, die Mütter der Aufständischen, die die Militärdiktatur des Park Chun-hee im Mai 1980 in der Industriearbeiterstadt niedermetzeln ließ. Was für europäische Augen problematisch inszeniert aussieht, glich jedoch einem angemessenen Reenactment. Auf einer Fotoserie in dem Memorial Center der südwestkoreanischen Millionenstadt sieht man Gwangjuer, die am 5. Mai 1997, siebzehn Jahre nach dem 14-tägigen Blutbad von 1980, die Knochen ihrer Angehörigen in Kartons auf einen Friedhof tragen.

Mit der bewegenden Eröffnung gelang Kuratorin Jessica Morgan der Spagat, um den in Gwangju keine Biennale herumkommt: an die traumatische Historie zu erinnern, zugleich aber einen Diskursraum in die Zukunft zu öffnen. Die Gwangju-Biennale war nämlich 1995 ausdrücklich zum Gedenken an die Opfer der demokratischen Widerstandsbewegung gegründet worden, die 1989 das Militärregime endgültig stürzte.

Mit „Burning Down The House“, dem Titel ihrer Schau mit 103 Künstlern, führte Morgan, im Hauptberuf Kuratorin an der Londoner Tate Modern, die Besucher zunächst auf eine falsche Pop-Fährte. Man durfte den legendären Song der Talking Heads so wörtlich nehmen wie das verbrannte Haus „The Island“, das der argentinische Künstler Eduardo Basualdo aus verkohlten Resten historischer Häuser aus Buenos Aires gebaut und in eine der fünf Ausstellungshallen gestellt hat. Man konnte ihn aber auch so metaphorisch nehmen wie Nil Yalter.

In einer Fotoserie hat die ägyptische Künstlerin Ende der siebziger Jahre den allmählichen Geschlechtswechsel ihres damaligen Lebensgefährten dokumentiert. In gewisser Weise ist da das gemeinsame Haus der Partnerschaft abgebrannt. Und die „Stoves-Öfen“, mit denen der deutsch-amerikanische Künstler Sterling Ruby seine Kindheit im ländlichen US-Staat Pennsylvania verarbeitete, schienen Morgan das passende Symbol für die Dialektik der schöpferischen Erneuerung, auf die sie hinauswollte. Schließlich stieg auch Südkorea aus den Feuern des Zweiten Weltkrieges zu einem der „Tigerstaaten“ am Pazifik auf.

Weder Touristenspektakel, Standortmarketing noch Motor der Gentrifizierung – ist die Gwangju-Biennale also ein Glücksfall in dem immer dichteren Platzregen internationaler Biennalen? So wie das Gwangjuer Exemplar aus einer demokratischen Widerstandsbewegung entstand, scheint ihr tatsächlich ein gesellschaftspolitischer, kein kulturindustrieller Auftrag in die DNA geschrieben. In den Eröffnungsansprachen der Biennale wird denn auch gern der „Geist von 1980“ beschworen.

Rechte Stichwortgeber

Doch ausgerechnet in der Unesco-„Stadt der Menschenrechte“ schwebt dieses Jahr der Vorwurf der Zensur über der Institution, die den demokratischen Diskursraum dauerhaft sichern soll, der zu Zeiten der Militärdiktatur verboten war. Kurz vor der Eröffnung verbannte eine schwer durchschaubare Koalition aus verfeindeten Bürgermeistern, übervorsichtigen Kuratoren und Stichwortgebern der Seouler Rechtsregierung, der das linke Gwangju ein Dorn im Auge ist, ein Bild des Künstlers Hong Song-dam aus einer separaten Jubiläumsausstellung zum 20. Jubiläum der Biennale: „Sewol Guwol – April Mai“ nannte sich beziehungsreich das Bild, das die während des Fährunglücks im vergangenen April unglücklich agierende Staatschefin Südkoreas, Park Geun-hee, als Strohpuppe ihres Diktatoren-Vaters Park Chung-hee, dem Schlächter des Mai 1980, karikiert.

Yong Woh-Lee, Kunstgeschichtsprofessor und Gründer der Biennale, vor 34 Jahren als Reporter Zeuge der Massaker, übernahm mit seinem Rücktritt als Präsident der Biennale-Foundation sogleich die Verantwortung für das Debakel, obwohl es ihm nicht anzulasten war. Das zeigt, dass die Organisatoren die Grundsatzfrage nach der Freiheit der Kunst sehr ernst nehmen. Dass ein Werk wie „The Ozymandia Parade“ des amerikanischen Künstlerpaares Edward und Nancy Kienholz unbeanstandet im eigentlichen Biennalen-Parcours stehen konnte, belegte jedoch, dass der Zensurvorwurf nur bedingt greift.

Die Installation von 1985, zwei Reiter hoch zu Ross, gilt als Parodie auf US-Präsident Ronald Reagan und den Missbrauch der Macht. Morgan hat die US-Flagge „Stars & Stripes“ darauf gegen die südkoreanische ausgetauscht. Dem Willen der Künstler, in jedem Land, in dem die Arbeit gezeigt wird, eine Umfrage mit dem Satz: „Are you satisfied with your government?“ durchzuführen, hat Kuratorin Morgan auch in Südkorea entsprochen. Mit 85 Prozent war das Ergebnis eindeutig. Deswegen prangt auf einem der Pferde jetzt ein weißes Fähnchen mit zwei schwarzen Buchstaben „No“. Burning Down The House.

■ Gwangju Biennale. Bis 9. November, Katalog 10.000 Won/8 Euro