: „Philippinen im unerklärten Kriegszustand“
Satur Ocampo, inhaftierter Spitzenkandidat der linken Partei Bayan Muna auf den Philippinen, über die gewaltsame Repression gegen Linke, die mangelnden Reformen innerhalb des Militärs und seine eigenen Haftbedingungen
SATUR OCAMPO, 67, ist Spitzenkandidat der linken Partei Bayan Muna. FOTO: AP
taz: Herr Ocampo, Sie sind der Spitzenkandidat der linken Partei Bayan Muna. Die Regierung bezichtigt Sie der Anstiftung zum Mord vor mehr als zwanzig Jahren. Was steckt aus Ihrer Sicht hinter Ihrer Festnahme so kurz vor den Wahlen?
Satur Ocampo: Die Regierung und das Militär wollen mich kaltstellen und unsere Partei schwächen. Wir sind führend in den Umfragen, und sie stehen international wegen der andauernden politischen Morde in unserem Land stark unter Druck und versuchen, eine Verbindung mit diesen alten Fällen herzustellen, um von sich selbst abzulenken.
Diese „alten Fälle“ gab es aber doch tatsächlich, oder?
Der bewaffnete Arm der Linken hat zu Zeiten des Kriegsrechts unter Marcos vermeintliche Spione exekutiert. Die kommunistische Partei hat diese Fehler der Vergangenheit schon vor langer Zeit öffentlich eingestanden. Ich war damals ein führender Kopf der Bewegung, deshalb versucht man heute, diese Verbindung herzustellen. Es ist erwiesen, dass ich mit den Fällen nichts zu tun habe. Heute ist es das Militär, das Mitglieder und Sympathisanten linker Bewegungen einschüchtert. Stellen sie ihre politischen Aktivitäten nicht ein, werden sie auf offener Straße erschossen. UN-Sonderberichterstatter Philip Alston hat nach seinem Besuch auf den Philippinen von einem systematischen Modus operandi gesprochen und in seinem Bericht ganz klar die Rolle des Militärs dabei betont.
Die Europäische Kommission will demnächst ebenfalls eine Delegation zur Aufklärung der Morde entsenden.
Das geschieht auf Einladung der philippinischen Regierung, die offiziell versichert, die Morde aufklären zu wollen. Doch sie betreibt das Gegenteil von Aufklärung, da der Druck des Militärs zu groß ist. Vertreter der Regierung haben das Militär sogar verteidigt. Seit dem Sturz der Marcos-Diktatur hat sich in der Bevölkerung ein großes Bewusstsein für Menschenrechte entwickelt. Im Militär hat es hingegen keine Reformen gegeben. Die Regierung ist extrem abhängig von der Gunst des Militärs, und das Militär nutzt seine Macht gnadenlos aus. Was wir derzeit erleben, ist eine Art unerklärter Kriegszustand.
Erwarten Sie einen weiteren Anstieg der Gewalt vor den Wahlen?
Wir hoffen darauf, dass die internationale Aufmerksamkeit das verhindern wird. Die Regierung steht enorm unter Druck, die hunderte extralegalen Hinrichtungen der letzten Jahre aufzuklären. Dennoch glaube ich nicht, dass sie ihrerseits das Militär ausreichend unter Druck setzen kann. Bereits jetzt ist es außerdem absehbar, dass massiver Wahlbetrug stattfinden wird. Die Wahlkommission hat Parteien zugelassen, die die Kriterien gar nicht erfüllt haben. Auf diese Weise versucht man, die Stimmen für die Opposition zu verringern.
Sie haben viele der Ermordeten persönlich gekannt. Wie gefährlich leben Sie selbst?
Ich habe in meinem Leben viele Risiken auf mich genommen. Ich glaube nicht, dass das Militär so dumm sein wird, mich ins Visier zu nehmen. Damit würden sie unsere Bewegung nicht schwächen, sondern das Gegenteil bewirken.
Seit dem 16. März sind Sie in Untersuchungshaft. Wie sind Ihre Haftbedingungen?
Letzte Woche versuchte man mich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion nach Leyte zu bringen. Ich wurde weder vorab informiert, noch machte es Sinn, das zu tun, da heute die Klage gegen meine Verhaftung vor dem Obersten Gericht verhandelt wird. Ich wehrte mich, so dass sie mich aus dem Raum tragen mussten. Mein Anwalt hatte jedoch die Medien informiert, die zahlreich berichteten, so dass die Polizei schließlich zurückruderte. Inzwischen hat sich die Situation etwas entspannt. Ich habe einen größeren Raum bekommen und kann inzwischen Besuch von Freunden empfangen.
INTERVIEW: ANETT KELLER