: Die Kunst der Regelverletzung
Sich dem Ungeplanten öffnen: keine einfache Aufgabe für Paare und Filmregisseure. Nobuhiro Sowa kann gerade das gut. Das hilft der Liebe in „Ein perfektes Paar“
Ein Mann, Nicolas (Bruno Todeschini), eine Frau, Marie (Valeria Bruni-Tedeschi), ein Paar im Taxi, auf dem Weg vom Flughafen zum Hotel. Minutenlang diese Fahrt durch Paris, die beiden sind durch das Seitenfenster gefilmt, aber kaum zu erkennen. Auf der Fensterscheibe spiegeln sich das Licht, die Wolken, Bilder der Stadt. Viel zu sagen haben sie sich nicht. Aus Dialogfetzen nur kann man sich ein wenig Vorgeschichte im Folgenden zusammenreimen. Sie sind einige Jahre verheiratet, sie leben nun schon recht lange in Lissabon, sie besuchen in Paris eine Hochzeit.
Die beiden Hauptfiguren sind, von diesen ersten Momenten an, präsent als Liebende, in deren Beziehung sich eine zunächst unausgesprochene Fremdheit geschlichen hat. Allerdings ist das mit der Präsenz so eine Sache, denn auch im Weiteren sind sie keineswegs immer im Bild. Sie kommen an im Hotel, man sieht aus dem einen Zimmer, im Blick durch eine offen stehende Tür, wie im anderen ein Ersatzbett aufgeklappt wird. Nonchalant kippt spätestens in diesem Moment der Titel des Films hinüber in die Ironie: Das „perfekte Paar“, Marie und Nicolas, schlafen nicht mehr im selben Bett.
Marie und Nicolas sprechen miteinander, wir hören ihre mal latente, mal manifeste Aggression – aber zu sehen bekommen wir, eingefangen von einer störrisch und stoisch starren digitalen Kamera, nur die Wand, die sehr buchstäblich zwischen Marie und Nicolas liegt.
Sie sind verabredet mit einem befreundeten Paar, aber noch bevor die Frau eintrifft, verstört Nicolas den Freund und offenkundig auch Marie mit der Ankündigung, sie wollten sich scheiden lassen. Der Film verzichtet auch in diesem Moment auf alle Dramatik, auf jede Hysterie, nur die Kamera nähert sich und zeigt die Überraschung, die Irritation in Maries Gesicht.
Weite Teile von „Ein perfektes Paar“ sind in Improvisationen entstanden. Aus der Setzung simpler Prämissen von Handlung und Kamera entfaltet sich so Szene um Szene. Nobuhiro Suwa und seine legendäre Kamerafrau Caroline Champentier – sie hat unter anderem mit Jean-Luc Godard, Jacques Doillon und Benoît Jacquot gearbeitet – verzichten auf jede Politur und Virtuosität, ja, sie verletzen mit voller Absicht die Regeln der Kunst in der Auflösung ihrer Einstellungen. Zur Starrheit der Kamera, die oft da verharrt, wo sei einmal ist, kommt so die provozierend schlechte Ausleuchtung, die vieles im Hintergrund lässt, was in der Logik seiner Wichtigkeit in den Vordergrund gehörte.
Mit schlichtem Naturalismus hat das bei einem so reflektierten Regisseur wie Nobuhiro Suwa nichts zu tun. „Ich bin nicht besonders interessiert an einem Realismus, aber ich möchte ein Gefühl der Realität vermitteln“, hat er in einem Interview gesagt. „Für mich ist das Konzept eines Films viel wichtiger als das Drehbuch“, behauptet er, mit der hübschen Pointe freilich, dass er für seinen 1999 ohne Drehbuch entstandenen Film „M/Other“ mit einem Drehbuchpreis ausgezeichnet wurde.
Ein spürbarer Effekt dieser sich fürs nicht geplante Ereignis öffnenden Kombination von starrer Kamera und Improvisation ist der Eintrag von Zeit ins Erzählen; Suwas Filme haben mitunter unendliche Geduld für das Sichentfalten von Vorgängen, die Abfolge von Regungen in Gesichtern, das tastende, von Schweigen durchsetzte Hin und Her von Dialogsituationen. Und sie produzieren immer wieder Strecken bloßen Vergehens, des Leerlaufs von Zeit.
So wenig für Suwa das Kino eine ambitionierte Kunst des gedrechselten Wortes ist, so wenig begreift er es als das Medium umstandsloser Sichtbarkeit. In „M/Other“, auch dies eine intime Paargeschichte, gibt es Momente, in denen absichtliche Belichtungsfehler oder das Auslaufen der Filmrolle auf das Bild als Material aufmerksam machen. Der Film „H Story“ ist wiederum als das aus der Drehsituation heraus entstandene Dokument eines Scheiterns inszeniert. Ein Regisseur – Nobuhiro Suwa als Nobuhiro Suwa – versucht sich in Hiroshima an einem Remake von Alain Resnais’ Klassiker „Hiroshima, mon amour“. Man sieht Probenarbeiten, unfertige Szenen, Krisen. Das Remake kommt nie zustande.
Im Vergleich zur verwickelten Experimentalanordnung „H Story“ ist „Ein perfektes Paar“ fast schon konventionell. An mehr als einer Stelle orientiert sich der Film an Roberto Rossellinis Ehekrisenfilm „Reise in Italien“ – etwa im wiederholten Museumsbesuch Maries. Und am Ende ereignet sich ein gänzlich unspektakuläres Versöhnungswunder. Marie und Nicolas stehen auf dem Bahnsteig, warten auf die Abfahrt eines Zuges. Es ist eine der wenigen Situationen bei Suwa, in denen unterm unverwandten Blick der Kamera eine Art Zeitdruck entsteht. „Ein perfektes Paar“ endet so mit einem Spannungsmoment und seiner kunstvoll verzögerten Auflösung. Der Zug ist abgefahren. Was bleibt, ist das perfekte Paar.
EKKEHARD KNÖRER
„Ein perfektes Paar“. Regie: Suwa Nobuhiro. Frankreich/Japan 2005, 104 Minuten