„Sicherheit“ und Lügen

Kandidaten aller Couleur in Frankreich versuchen aus der Randale im Pariser Gare du Nord Kapital zu schlagen – vor allem die Rechtsextremen

Mit falschen Angaben heizt Frankreichs neuer Innenminister die Stimmung an

AUS PARIS DOROTHEA HAHN

„Die Fahrscheine bitte“ – mit diesem banalen Satz fing es an. Die Kontrolleure kamen am Dienstagnachmittag. Sieben Stunden später war einer der größten Pariser Bahnhöfe, der Gare du Nord, ein Schlachtfeld. Tags drauf konnten die FranzösInnen in den Schlagzeilen ihrer Medien lesen, am Gare du Nord habe ein „Aufstand“ stattgefunden. Am selben Tag gaben ein Minister sowie mehrere PräsidentschaftskandidatInnen Interviews auf dem Bahnhof. Sie sprachen nicht mehr von einer Fahrkartenkontrolle, sondern von „Einwanderung“, „Kriminalität“, „Banlieues“ und der „inneren Sicherheit“. Gestern trumpfte der Rechtsextreme Jean-Marie Le Pen bei einer Pressekonferenz in Saint Cloud bei Paris: „Die Ereignisse geben uns Recht.“

Bei den letzten Präsidentschaftswahlen hatte wenige Tage vor dem ersten Durchgang das blau geschlagene Gesicht eines überfallenen alten Mannes für landesweite Betroffenheit gesorgt. Am Abend jenes 21. April 2002 war Le Pen mit mehr als 5 Millionen Wählerstimmen zweitstärkster Politiker Frankreichs.

Tatsächlich scheint die Situation am Gare du Nord am vergangenen Dienstag anders gewesen zu sein, als der neue Innenminister François Baroin es im ersten schnellen Anlauf darstellte. Baroin behauptete, der Schwarzfahrer sei „illegal“ nach Frankreich gekommen, halte sich „irregulär“ im Land auf und sei der Polizei durch „22“ Vorgänge bekannt. Tatsächlich stammt der Schwarzfahrer zwar aus dem Kongo, doch kam er schon als Kind im Rahmen einer Familienzusammenführung nach Frankreich und hatte reguläre – wenngleich nur befristete – Papiere. Tatsächlich ist der Schwarzfahrer siebenmal verurteilt worden. Davon einmal wegen „Gewalt“ und sechsmal wegen Mundraubs – etwa von Obst oder Gemüse – im Supermarkt. Sein Anwalt konnte immerhin dafür sorgen, seinem Mandanten ein Schnellverfahren zu ersparen. Angelo H. wird nun Anfang Mai vor Gericht kommen. Zwischen den beiden Durchgängen der Präsidentschaftswahlen.

Der junge Mann hatte sich nach Angaben der Verkehrsbetriebe „gewaltsam“ einer Kontrolle widersetzt. Daraufhin nahmen PolizistInnen den Schwarzfahrer fest – so brutal, dass umgehend mehrere Dutzend PassagierInnen protestierten.

Zu den Gewaltszenen in dem gerade erst mit großen Glasfassaden modernisierten Gare du Nord kam es jedoch erst mehrere Stunden später. Zwischenzeitlich waren ein paar hundert Jugendliche zusammengekommen, die versuchten, die PolizistInnen mit obszönen Fingerzeigen und anderen Gesten aus der Reserve zu locken. Die PolizistInnen trugen Kampfuniformen und setzten Knüppel und Tränengas ein. Mehrere Schaufensterscheiben gingen zu Bruch, mehrere Jugendliche wurden festgenommen. Drei von ihnen sind vorgestern in Paris bereits in einem Eilverfahren verurteilt worden.

Noch bevor Einzelheiten bekannt waren, warf der soeben erst zurückgetretene Innenminister Nicolas Sarkozy der Linken Laxheit im Umgang mit Migranten und illegalem Verhalten vor. Die sozialistische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal kam ihrerseits in den Bahnhof und sprach sich einerseits gegen das Schwarzfahren, andererseits für eine „gerechte Ordnung“ aus.