: Das ewige Dilemma der Symbolpolitik
Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen. So definierte einst Immanuel Kant das Leitprinzip der Aufklärung.
Und wenn das mit Spannung erwartete Streitgespräch der Berliner Akademie der Künste vergangenen Dienstag über den Versuch, den Pekinger Diktatoren mit dieser Fackel heimzuleuchten, etwas gebracht hat, dann die Erkenntnis, dass es bei dem dazu inszenierten Menetekel namens „Die Kunst der Aufklärung“ auch auf deutscher Seite an genau dieser Substanz gefehlt hat.
Wie anders wäre es zu erklären, dass ein tendenziell subversives Projekt von etwas betulichen, aber gutwilligen Museumsleuten zum Staatsakt mit Außenminister und 100 Journalisten im Schlepptau umfunktioniert werden konnte?
Wie anders wäre es zu erklären, dass es für ein so komplexes Thema wie die Kunst der Aufklärung des 18. europäischen Jahrhunderts kein Vermittlungsprogramm gibt, das es chinesischen Besucher erklärt.
Und wie anders wäre es zu erklären, dass die Historienschau so wenig Anschluss an die kritische Gegenwartskunst sucht?
Die Liste der Fehler bei einem Schlüsselprojekt des Kulturdialogs, die im Glashaus am Pariser Platz erregt diskutiert wurde, war lang. Abbrechen wollte die Schau zum Glück aber keiner der Disputanten. Kulturstaatsminister Bernd Neumann gefiel sich zwar in seiner Rolle als Ventil der öffentlichen Empörung. Scharf rechnete der sonst so joviale Mann mit den Schergen in Peking ebenso gehörig ab wie mit seinen willfährigen Museumschefs. Seine Philippika zeigte aber das bekannte Dilemma der Symbolpolitik: Sie brachte den verschwundenen Ai Weiwei auch nicht zurück.
Eine „Deutsche Debatte“, wie es im Untertitel der Veranstaltung hieß, war das hitzige Meeting insofern, weil es einseitig war. Denn von der deutschen Wirtschaft, die gerade wieder mit dicken Auftragsbüchern vom Schanghaier Autosalon zurückgekehrt ist, verlangt ja niemand, dass sie den chinesischen Markt in Zukunft links liegen lässt.
Klüger stellten sich Klaus-Dieter Lehmann und Hermann Parzinger an, Goethe-Präsident der eine, Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz der andere, als sie aus dem Pekinger Desaster die Lehre zogen, dass repräsentative Großprojekte „nicht mehr die geeigneten Formate“ des Kulturaustauschs sind.
Sie wollen in Zukunft stärker Künstler und nichtstaatliche Netzwerke vor Ort einbinden. Und mit vielen, im ganzen Land verstreuten Foren den Spielraum nutzen, den noch die härteste Diktatur bietet.
So kritisch, wie die beiden mit sich selbst und ihrer Arbeit ins Gericht gingen, demonstrierten sie die Kunst der Aufklärung sinnfällig. Die bekanntlich der Ausgang aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit ist.
INGO AREND