: Ein Stipendium als Kopftuchprämie
Mit einem speziellen Förderprogramm ermöglicht die islamische Organisation Milli Görüs Studentinnen aus der Türkei ein Hochschulstudium in Westeuropa. Kritiker sehen darin eine Instrumentalisierung der Frauen für ideologische Zwecke
AUS HAGEN CIGDEM AKYOL
Der Imam sitzt auf der Bühne, schaut konzentriert in den Koran und betet auf Arabisch. Obwohl sich 1.650 Menschen in der Hagener Stadthalle befinden, ist es ganz still. Männer und Frauen sitzen getrennt voneinander und schauen nach vorne, lauschen dem Imam. Für die, die kein Arabisch können, werden die Koranverse auf einer großen Leinwand in Türkisch gezeigt. „Allahu akbar“ („Gott ist groß“), ruft der Imam.
Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) hat an diesem Samstag zu einem Studententreffen in die Hagener Stadthalle eingeladen. Studenten aus Kanada, den USA, der Türkei und ganz Europa waren angereist, um sich und ihren Verband zu feiern. Junge Männer mit gegelten Haaren und „Türkiye“-T-Shirts, junge Frauen mit bunten Kopftüchern und Turnschuhen waren an diesem Tag unter sich. Hinein durfte nur, wer eine Einladung hatte.
Die Jugendarbeit gehört zu den Schwerpunkten der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs. Schon in der Frühzeit des Islams habe Bildung eine wichtige Rolle gespielt, heißt es auf der Verbandshomepage. „Muslime, die in den ersten Jahrzehnten der islamischen Geschichte gelebt haben“, steht dort, „wetteiferten regelrecht um ihre Weiterbildung.“ Und weiter: „Ihre Werke wurden Jahrhunderte lang in den europäischen Hochschulen gelehrt. Nach einiger Zeit als die Werke in die Hände des Westens fielen, entfernten sich bedauernswerter Weise die muslimischen Gelehrten von der Wissenschaft. Dieser betrübliche Zustand hält leider bis heute an.“
Das wollen die Verbandsvertreter ändern, mit Stipendien wird jungen Muslimen ein Studium in Westeuropa ermöglicht. Vor allem Türkinnen, die wegen des strikt durchgesetzten Kopftuchverbots an den heimischen Hochschulen nicht studieren wollen oder können, bewerben sich für solch ein Stipendium.
Die Studenten erhalten monatlich 200 bis 400 Euro und bekommen außerdem Unterstützung im alltäglichen Leben. So hilft ihnen die Organisation bei der Wohnungssuche oder bei Behördengängen. Jährlich werden europaweit etwa 250 Stipendien vergeben, davon rund 40 an Studenten in Deutschland. „Wir möchten, dass die jungen Leute eine ordentliche Ausbildung erhalten, damit sie sich anschließend in unserem Verband engagieren können“, erklärt Oguz Ücüncü, Generalsekretär von Milli Görüs, den Hintergrund des Programms.
Beantragen darf jeder ein Stipendium. „Egal welcher Herkunft oder welchen Glaubens“, sagt Mesud Gülbahar, verantwortlich für die Jugendarbeit in der Milli-Görüs-Zentrale im rheinischen Kerpen. Menschen, die finanziell schlecht dastehen, hätten aber Vorrang. Aufgebracht würden die Gelder durch Spenden.
Damit auch wirklich jeder Anwesende erfährt, wie wichtig gute Bildung ist, werden vier ehemalige Stipendiaten vor dem Publikum geehrt. Zwei Frauen und zwei Männer bekommen für ihre ausgezeichneten Universitätsabschlüsse eine Urkunde überreicht, die Frauen von einer Frau, die Männer von einem Mann. Gemeinsam stehen sie auf der Bühne wie gerührte Oscar-Preisträger. Mit der Veranstaltung will Milli Görüs auch ein Zeichen setzten. „Wir sehen nicht ein, dass Menschen wegen Kleidervorschriften nicht studieren können“, sagt Generalsekretär Üzüncü.
Während streng orthodoxe Muslime hierzulande um das Tragen des Kopftuchs im öffentlichen Dienst ringen, ist diese Diskussion in der Türkei schon lange entschieden. Denn nach den türkischen Gesetzen werden Studentinnen mit einem Kopftuch nicht an einer Universität zugelassen. So müssen auch die beiden Töchter des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan im Ausland studieren, weil sie ihre Tücher nicht abnehmen wollen.
Auch die jungen Frauen in der Hagener Stadthalle wollen nicht auf ihr Kopftuch verzichten. Sie sind stolz darauf, dem Islam anzugehören, und sie sind stolz darauf, sich zu verhüllen. In der Stadthalle werden sie deshalb nicht schief angeschaut, sie werden von den Männern dafür respektiert – auch wenn sie getrennt voneinander sitzen.
Ein nordrhein-westfälischer CDU-Politiker, der nicht genannt werden will, begrüßt das Stipendienprogramm. „Eine Frau, die aus religiöser Überzeugung ein Kopftuch trägt, soll das auch machen“, findet er. „Der Staat soll sich in persönliche Entscheidungen nicht einmischen.“ Die Positionen aber, wie sollte es auch anders sein, liegen weit auseinander. So kritisiert die SPD-Islambeauftragte Lale Akgün, dass die jungen Kopftuchträgerinnen als Opfer stilisiert würden. „Die Studentinnen werden für die Ideologie von Milli Görüs instrumentalisiert“, so Akgün.
Argumente, über die zwei Abiturientinnen aus Österreich nur lachen. Die beiden besuchen das Islamische Gymnasium Wien und sind 13 Stunden mit dem Bus gefahren, um in Hagen dabei zu sein. „Schau mich an“, sagt die eine grinsend und mit österreichischem Akzent, ihr hübsches Gesicht wird von einem weißen Kopftuch umrahmt. „Ich verschleiere mich gerne.“