DAS SIND NICHT MEINE FREUNDE : Bunte Mischung
ULI HANNEMANN
Ich mag ja diese „bunte Mischung“, wie ich sie in einem Anflug sozialromantischer Überheblichkeit zu nennen pflege. Bierphilosophen, Schwafler, Lärmer, auch junge Eltern, Studenten oder Schauspieler der Neuköllner Oper, die in der ersten Frühlingssonne miteinander ihre Texte lernen. Die Schauspieler und Studenten scheinen heute jedoch nicht da zu sein, hat ja nicht jeder immer Zeit, am helllichten Tag in der Hasenschänke herumzusitzen.
„Deine ‚bunte Mischung‘ geht mir gerade ein bisschen auf die Nerven“, sagt Q. und meint wohl das von schwerzüngigem Gebrabbel unterlegte, beträchtliche Getöse und Gerappel zwei Tische hinter uns. „Ich finde, die Alte klingt wie eine Schauspielerin, die eine Betrunkene spielt.“
„Immerhin doch noch eine Schauspielerin“, konstatiere ich. Schließlich wirkt es äußerst professionell, wie die „Alte da“, die zwar in etwa mein Jahrgang sein dürfte, jedoch in Vorbereitung auf ihre Rolle tief in die Schminkkiste mit den natürlichen Aging-Mitteln wie Unglück, Alkohol und Nikotin gegriffen hat, ohne Mikrofon mühelos das gesamte Areal sowie das anwesende Auditorium bespielt. Sie versteht es, den Raum komplett zu füllen, den Fokus gekonnt auf sich und ihre Aktionen zu ziehen, ist unheimlich präsent.
Diese Präsenz steigert sich noch, als die Alltagsdiva beim Versuch, sich zu erheben, strauchelt und polternd mehrere Flaschen vom Tisch fegt, der unter ihrem vergeblichen Bemühen, sich an dem leichten Plastikmöbel festzuhalten, heftig ins Schwanken gerät, während sie wie ein Maikäfer auf den Rücken plumpst. Meine Bewunderung wächst ins Unermessliche, als sie es direkt nach diesem aufreibenden Slapstickstunt und noch in Rückenlage schafft, laut lallend ihre Sorge um die Unbeschadetheit der verbliebenen Tischgetränke auszudrücken. Nur eine Sonnenfinsternis vermag ihr für einen kurzen Moment die Show zu stehlen: Mehrere Köter zerfleischen einander inmitten einer gewaltigen Staubwolke, die vorübergehend den Himmel verdunkelt. Infernalisches Knurren, Bellen und Winseln mischt sich mit dem Geschrei der notorisch überforderten Besitzer.
„Ich kann mich echt schlecht konzentrieren hier“, verzieht Q. das Mündchen. Mein Gott: „Konzentrieren!“ Sie soll sich nicht konzentrieren, sondern sich entspannen und die authentische Atmosphäre genießen. Aber das gnädige Edelfräulein ist sich anscheinend längst zu fein für die normalen Leute. Heititei! Herzogin zu Hohenbrunn und am Schlesischen Tore, dort wo der Stadtadel residiert, und Elektro-DJs mit Sonnenbrillen, groß wie Wagenräder, vor japanischen Rollmopsimbisslokalen auf Englisch, Französisch und HTML parlieren.
Mit zunehmendem Alter wird sie offenbar immer intoleranter, während ich selbst mit den Jahren stetig toleranter werde. Außerdem mag ich diese einfachen Menschen. Gerade vom Zusammenhalt der Leute untereinander können sich überzüchtete Angeber wie wir noch eine dicke Scheibe abschneiden. Die Peer Group der „Alten“ wuchtet ihre Kameradin in einer solidarischen Gemeinschaftsanstrengung zurück in ihren Stuhl, ein paar der Biere sind auch noch heil. Gott sei Dank, prost.
„Na, dann geh doch zu deinen Freunden“, mault Q.: „Da wird garantiert bald ein Platz frei!“ Sie reißt zwei Papierstreifen aus dem Feuilleton der Süddeutschen, knüllt sie zu kleinen Kugeln zusammen und steckt sich diese demonstrativ in die Ohren.
Ich blicke mich verschämt um. „Das sind nicht meine Freunde“, murmle ich dann und muss daran denken, wie kurz nach Erscheinen meines ersten Neukölln-Buchs jemand auf dem Pissoir der Schänke „Uli Hannemann ist eine Fotze“ an die Wand geschmiert hatte.