Der große Kommunikator

Aus der Familientherapie entwickelte Paul Watzlawick einen neuen Kommunikationsbegriff. Sein Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“ machte ihn berühmt. Am Samstag ist er gestorben

Der Patient muss sich selbst heilen, nur alleine schafft er es nicht. Das ist die Paradoxie der Familientherapie

VON DIRK BAECKER

Persönlich habe ich Paul Watzlawick nur einmal getroffen, 1983 auf einem Kongress über menschliche Kommunikation, der in Abano Terme in Norditalien stattfand. Aber ich vergesse den Eindruck nie, den er damals auf mich gemacht hat. Er schien mir der einzige Redner zu sein, der die Abgründe des Themas der Konferenz am eigenen Leibe erfahren hatte. Wenn er sprach, glaubte man, ihm die vielen therapeutischen Sitzungen anzusehen, in denen er versucht hat, Leute, die bei ihm Rat gesucht haben, aus ihren Verwicklungen und Sackgassen wieder herauszulösen. Der Kongress war, soweit ich weiß, auch eine der wenigen Begegnungen zwischen Jean Baudrillard und Niklas Luhmann, die sich darüber stritten, ob es einen Ausweg aus der Selbstreferenz der Kommunikation gibt. Baudrillard sprach über das Obszöne, das die Grenzen der Kommunikation überschreitet; und Luhmann fragte ihn, ob man über das Obszöne reden kann, ohne selbst obszön zu werden. Aber wenn man Watzlawick zuhörte, dann wusste man, dass in Sachen Kommunikation der Spaß auch einmal irgendwann zu Ende sein kann.

Paul Watzlawick, 1921 in Kärnten geboren, ist in Deutschland zweimal berühmt geworden, einmal unter Psychologen und Therapeuten mit seinem 1969 erschienenen und zusammen mit Janet H. Beavin und Don D. Jackson geschriebenen Buch über die „Menschliche Kommunikation: Formen, Störungen und Paradoxien“, das mit einem Schlag das Thema der Kommunikation sowohl besprechbar als auch behandelbar machte. Und dann noch einmal unter einem sehr viel breiteren Publikum mit seinem Buch „Anleitung zum Unglücklichsein“, das 1983 erschien und wahrscheinlich das einzige Buch aus dem weiten Feld der Selbsthilfe ist, das man wirklich gelesen haben sollte. Auch seine „Gebrauchsanweisung für Amerika“ (1978) und seine Konstruktivismus-Einführung „Wie wirklich ist die Wirklichkeit?“ (1976) sind nach wie vor außerordentlich lesenswert.

Er hatte eine wunderbare Gabe, immer genau zu wissen, worüber er schrieb, sich jedoch von diesem Wissen nie die Freiheit nehmen zu lassen, sich auch das Leiden und das Unglück des Menschen letztlich eher wie ein Naturforscher anzusehen, der darüber staunen kann, wie die Leute es schaffen, so zu leiden und so unglücklich zu sein, als wie ein Betroffener, der glaubt, er müsse sich von jedem Phänomen, das ihm begegnet, unbedingt anstecken lassen. Ich hatte damals in Italien den Eindruck, dass ein Ratsuchender sich bei ihm in guten Händen fühlen müsste, weil er zu verstehen wusste, aber doch immer anders verstand, als der Ratsuchende sich selbst versteht. Diese Kombination von Hinschauen einerseits und Verschieben des Kontextes andererseits gehörte vermutlich zu seinen großen therapeutischen Fähigkeiten.

Dabei war er von der Ausbildung her kein Naturforscher, aber auch zunächst kein Psychologe, sondern ein Philosoph. Erst nachdem er sich nach seinem Philosophiestudium in Venedig auch hatte promovieren lassen, begann er eine Ausbildung zum Psychotherapeuten am C.-G.-Jung-Institut in Zürich, nahm dann 1957 für drei Jahre einen Ruf auf einen Lehrstuhl für Psychotherapie an der Universität von San Salvador an, bevor er 1960 an das Mental Research Institute in Palo Alto, Kalifornien, ging, wo er mit Janet H. Beavin und Don D. Jackson seine Kommunikationstheorie ausarbeitete und mit Gregory Bateson Schizophrenieforschung betrieb. In Palo Alto ist er am vergangenen Samstag auch gestorben.

Woher kam die Kombination von Empathie und Distanz, mit der sich Watzlawick die Pathologien der Kommunikation anschauen konnte? Wie schaffte er es, in der Auseinandersetzung mit dem Symptom einer Krankheit dem Patienten nicht einfach helfen zu wollen, sondern dem Patienten, wie er sich ausdrückte, das Symptom regelrecht zu verschreiben? So lautet ja die berühmt gewordene Frage, die Watzlawick seinen Patienten stellte: „Was muss passiert sein, wenn Sie eines Morgens aufstehen, in den Badezimmerspiegel schauen und feststellen, dass Sie gesund sind?“ Oder in der Negativfassung: „Was müssen Sie jeden Tag tun, damit Sie so krank bleiben, wie Sie jetzt sind?“

Schon die Entscheidung darüber, wann welche Frage in welchem Tonfall und in welchem Moment zu stellen ist, erfordert natürlich größtes therapeutisches Geschick, das durch keine Kommunikationstheorie eingeholt werden kann. Aber abgesehen davon, dass es hier gerade nicht um ein kausal zu formulierendes Rezeptwissen geht, erkennt man an den Fragen doch, auf welchen „Mechanismus“ Watzlawick und seine Schule der Familientherapie zu setzen versucht. Die Zumutung, mit der Watzlawick seine Patienten konfrontierte, bestand darin, sie zu zwingen, zu erkennen, in welchem Ausmaß sie die Mitproduzenten, wenn nicht sogar die alleinigen Produzenten ihrer Krankheit sind.

Man muss sich das vorstellen. Normalerweise geht man zum Arzt, um sein Problem dort loszuwerden. Der Arzt schaut sich das Problem an, entdeckt in der Lebenssituation oder im Körper des Patienten, aber nicht bei diesem selbst, die Ursachen für die Krankheit und versucht ihn zu heilen, indem er die Ursachen beseitigt. Der Patient, lateinisch der Erduldende, hält so lange still und wartet ab. Bei Watzlawick kommt der Patient damit nicht durch. Er bekommt eine aktive Rolle zugeschrieben, wird für seine Krankheit allein oder im Zusammenhang seiner Familie oder sonstigen Kleingruppe mitverantwortlich gemacht – und muss sich selbst heilen, indem er Schritt für Schritt herausfindet, dass er sich von demselben Therapeuten wieder lösen muss, den er aufgesucht hat, damit ihm geholfen wird.

Der Patient muss sich selbst heilen, aber alleine schafft er das nicht. Mit dieser schönen Paradoxie konfrontiert die Familientherapie ihre Klienten und mit der dazu passenden Kommunikationstheorie konfrontierte Watzlawick eine Wissenschaft, die das bis heute nicht hören will. Keines der Fächer, die das eigentlich anging, ob Literaturwissenschaften, Soziologie, Politologie, Ökonomie oder Psychologie konnte mit dem von Watzlawick entwickelten Kommunikationsbegriff etwas anfangen.

Paul Watzlawick war ein Weiser. Jede seiner vielen wunderbaren Parabeln ist makellos klar, und keine pflegt die Illusion der Befreiung aus der Verwicklung. Stattdessen wird der Blick für jene unscheinbaren Wendungen gepflegt, mit denen man sich so unversehens aus einem Problem herauslösen kann, dass man nicht umhinkommt, mit Bedauern festzustellen, dass einem etwas fehlt.