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Archiv-Artikel

Watsche für Washington

Der Oberste Gerichtshof fällt ein vernichtendes Urteil über die Klimapolitik von US-Präsident George W. Bush

Acht Jahre bis zum Klima-Urteil

Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat die Klimapolitik der Regierung von George W. Bush abgeurteilt: Sie sei willkürlich und nicht gesetzeskonform. Bis es so weit kam, musste jedoch acht Jahre lang prozessiert werden. Eine Chronik des Verfahrens:

Oktober 1999: Die NGO Center for Technology Assessment (CTA) fordert die US-Umweltbehörde EPA auf, den CO2-Ausstoß von Kraftfahrzeugen zu begrenzen. Ihr Argument: Auch Treibhausgase sind Schadstoffe, fallen unter das Luftreinhaltegesetz Clean Air Act und müssen daher reguliert werden.

Dezember 2002: Nach dem Regierungswechsel verschleppt die Umweltbehörde das Thema. CTA, Greenpeace und der Sierra Club ziehen vor Gericht, um eine Antwort zu erzwingen. Die kommt neun Monate später – und ist negativ. Oktober 2003: Dreizehn NGOs legen vor dem Washingtoner Berufungsgericht Beschwerde gegen die EPA-Entscheidung ein. Zwölf Bundesstaaten unterstützen die Klimaschützer: Kalifornien, Connecticut, Illinois, Maine, Massachusetts, New Jersey, New Mexico, New York, Oregon, Rhode Island, Vermont und Washington.

November 2003: Die Autohersteller schlagen sich auf die Seite der Umweltbehörde. Sie werden unterstützt von zehn Bundesstaaten: Michigan, Texas, Idaho, North Dakota, South Dakota, Alaska, Kansas, Nebraska und Ohio.

Juli 2005: Das Berufungsgericht lehnt die Beschwerde der Klimaschützer ab. Die rufen daraufhin im März 2006 den Obersten Gerichtshof, den Supreme Court, an.

Juni 2006: Der Supreme Court nimmt zur Überraschung der Klimaschützer den Fall an. NF

VON STEPHAN KOSCH

„Absolut sensationell!“ „Ein riesiges, riesiges Ding!“ „Der Durchbruch, auf den wir alle gewartet haben!“ Umweltschützer in den USA und Deutschland übertrafen sich gestern in ihren Superlativen. Grund war ein Urteil des höchsten Gerichtes der USA, das die Bush-Regierung zu einem konsequenteren Einsatz für den Klimaschutz ermahnt. „Die USA verursachen 25 Prozent des weltweiten Treibhausgasausstoßes“, sagt Jörg Feddern, Energieexperte von Greenpeace. „Wenn sich dort etwas bewegt, hat das große Auswirkungen auf den weltweiten Klimaschutz.

Aber was ist am Montagabend in Washington geschehen? Vordergründig ging es nur um die Regelung von Zuständigkeiten – genauer gesagt, um die Frage, ob die US-Umweltbehörde Environmental Protection Agency (EPA) festlegen kann, wie hoch der Ausstoß von Treibhausgasen bei Autos und Lastwagen sein darf. Die Umweltbehörde gilt als verlängerter Arm der Bush-Regierung, die strengere Regeln zum Klimaschutz bislang ablehnt. Folgerichtig wollte sich auch die EPA nicht in die Klimaschutzbemühungen von Nichtregierungsorganisationen, einigen Großstädten und zwölf Bundesstaaten einspannen lassen.

Diese kämpfen seit Jahren vor Gericht dafür, dass die EPA verbindliche und national gültige Grenzwerte für Kohlendioxid festlegt. Grundlage für diese Forderung war der sogenannte Clean Air Act aus dem Jahr 1963, ein Gesetz, das die Luft vor Schadstoffen schützen soll. Die Behörde zog sich jedoch auf die Position zurück, dass Kohlendioxid nicht gesichert als Schadstoff gelte – weshalb man nicht zuständig sei.

Dieser Argumentation entzog das Oberste Gericht in einer knappen Entscheidung von fünf zu vier Stimmen die Grundlage. „Treibhausgase fallen klar unter die rechtliche Definition von ‚Luftverschmutzung‘ im Clean Air Act“, heißt es in dem Urteil. Richter John Paul Stevens als Vertreter der Mehrheitsmeinung erklärte, es gebe keinen Hinweis darauf, dass der Kongress bei der Verabschiedung des Gesetzes beabsichtigt habe, Treibhausgase nicht als Luftverschmutzung zu betrachten. Die EPA agiere „willkürlich, launisch oder anderweitig nicht gesetzeskonform“. Selbst die vier unterlegenen Richter bezeichneten die Erderwärmung als das „dringendste Umweltproblem unserer Zeit“.

Die Umweltbehörde muss sich also um die Umwelt kümmern – so weit der juristische Kern des höchstrichterlichen Beschlusses. Wie sie das tun soll, hat das Gericht nicht festgelegt. Dennoch hat das Urteil konkrete Auswirkungen. Zunächst auf zwei weitere Prozesse. In Kalifornien klagen Autohersteller gegen die von der Regierung Schwarzenegger ab 2009 angestrebten strengen Abgasnormen und berufen sich auf das gleiche Argument wie die EPA. Doch die These, das Kohlendioxid nicht schädlich ist, dürfte kaum noch zu halten sein.

Außerdem stärkte der Supreme Court eine Initiative für strengere Emissionskontrollen für Kohlekraftwerke. Sie wiesen damit eine Klage des Versorgers Duke Energy ab, der die Installation von Stickoxid- und Schwefeldioxid-Filtern verweigerte.

Die Kläger hoffen nach dem Urteil auf eine strengere Klimaschutzpolitik. Die Bush-Regierung habe sich bisher hinter dem Argument der fehlenden Zuständigkeit versteckt, sagte Ian Bowles, Umweltminister des Staates Massachusetts. Dieses Argument sei nun niedergeschlagen. Seine Amtskollegin aus Pennsylvania hofft, dass „wir nun an die Arbeit gehen und die Autoflotte reinigen können“.

In der Tat muss auch die deutsche Automobilindustrie dieses Urteil ernst nehmen. „Das bedeutet, dass Kalifornien das Recht hat, strengere Grenzwerte festzulegen“, sagt Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe. Und weil die USA ein wichtiger Exportmarkt für deutsche Luxus- und Sportwagenhersteller sind, müssen deren Ingenieure nun entsprechende technische Lösungen entwickeln. Greenpeace-Mann Feddern hält es für möglich, dass die USA zum Vorreiter in Sachen Klimaschutz werden könnten. Das Thema durchdringe die US-Gesellschaft immer stärker. „Mit diesem Urteil wird Bush abgewatscht“, sagt er. „Die Frage ist jetzt, ob die Politik handelt.“

Zumindest erhöhe das Urteil den Druck auf Bush, sagt Regine Günther, Leiterin Klimaschutz beim WWF. Und das nicht nur innenpolitisch. Am 30. April findet der EU-USA-Umweltgipfel statt, im Juni das Treffen der wichtigsten Industrienationen in Heiligendamm. Dort könnten die Europäer auf ihre verbindlichen Klimaschutzziele verweisen, sagt Günther. Und sie können Bush fragen, wie er das Urteil des höchsten US-Gerichtes umzusetzen gedenkt. „Es gibt jetzt keinen Grund mehr, nicht zu handeln.“