Ein Staatsstreich?

VON BARBARA OERTEL

Die Kritik des ukrainischen Regierungschefs Wiktor Janukowitsch an Staatspräsident Wiktor Juschtschenko war klar und deutlich. „Diese Entscheidung ist ein fataler Fehler und wird das Land in eine noch tiefere politische Krise stürzen“, sagte Janukowitsch gestern. Mehrere Parlamentsabgeordnete sprachen von einem Schritt in Richtung eines Staatsstreiches.

Montagabend hatte Juschtschenko die Auflösung des Parlaments und Neuwahlen für den 27. Mai angekündigt. „Meine Aktionen sind von der unbedingten Notwendigkeit geleitet, die Souveränität des Staates und die territoriale Integrität zu retten. Das ist nicht mein Recht, sondern meine Verpflichtung“, sagte er in einer Fernsehansprache. Zudem warf er seinen Gegnern vor, unter Verletzung der Verfassung ihre Mehrheit im Parlament auszubauen.

Der Vorwurf bezieht sich auf 11 Abgeordnete, die im März aus dem Oppositions- ins Regierungslager übergelaufen waren. Die Abwerbestrategie des Regierungschefs zielt darauf, von 450 mindestens 300 willige Abgeordnete hinter sich zu bringen, um mit dieser qualifizierten Mehrheit die Verfassung ändern beziehungsweise ein Veto des Präsidenten überstimmen zu können.

Kompetenzstreitigkeiten zwischen Janukowitsch, dem Fälscher der Präsidentenwahlen 2004, und Juschtschenko, dem einstigen Hoffnungsträger der orangefarbenen Revolution und Verfechter einer Nato- und EU-Mitgliedschaft, lähmen das Land bereits seit Monaten. Anfang 2006 traten Verfassungsänderungen in Kraft, die Parlament und Regierung auf Kosten des Staatspräsidenten stärken, über deren Auslegung jedoch alles andere als Einverständnis herrscht. Im August 2006 wurde der russophile Janukowitsch, dessen „Partei der Regionen“ bei den Wahlen im März stärkste Kraft geworden war, zum Premier ernannt. Der Streit eskalierte erneut, als das Parlament im Januar das „Gesetz über das Ministerkabinett“ verabschiedete, das ebenfalls Beschneidungen der Präsidentenvollmachten vorsieht. Ein Veto Juschtschenkos überstimmte das Parlament, woraufhin der Präsident das Verfassungsgericht anrief. Wann eine Entscheidung ergeht, ist nicht abzusehen.

Zu einem Machtkampf mit teilweise absurden Zügen wurde auch die Nominierung des Außenministers. Mehrmals ließ das Parlament einen Kandidaten Juschtschenkos durchfallen. Erst nach dreimonatiger Vakanz wurde das Amt am 22. März 2007 besetzt.

Ob es jetzt in der Ukraine tatsächlich zu Neuwahlen kommt, ist fraglich. Das Parlament ignorierte gestern die Auflösungsverfügung und stimmte dafür, weiterzuarbeiten. Zudem wurden die Zentrale Wahlkommission für aufgelöst erklärt sowie sämtliche Gelder zur Ausrichtung einer Wahl eingefroren. Die Abgeordneten hätten genug Mut, um sich gegen Erpressung, Bedrohungen und Ultimaten zu wehren, sagte der Parlamentssprecher und Sozialist Alexander Moros. Auf Antrag von Janukowitsch liegt dem Verfassungsgericht jetzt Juschtschenkos Dekret über die Parlamentsauflösung zur Prüfung vor.

Derweil haben tausend Janukowitsch-Anhänger aus Protest gegen die möglichen Neuwahlen ein Zeltlager vor dem Parlament aufgeschlagen. Weitere tausende von ihnen waren gestern Nachmittag auf dem Weg nach Kiew. Ein Sprecher sagte, man werde solange in den Zelten ausharren, bis das Verfassungsgericht über das Dekret von Juschtschenko entschieden habe. Auch die Anhänger von Juschtschenko kündigten Demonstrationen an.

Die USA riefen die ukrainischen Politiker auf, die Ruhe aufrecht zu erhalten und die Probleme auf friedlichem Wege zu lösen. Die deutsche EU-Ratspräsidentschaft forderte alle Beteiligten zu „Mäßigung und Kompromissbereitschaft“ auf.