Nagel-TV in der ganzen Stadt

Innenbehörde und Polizei wollen die Videoüberwachung ausweiten. Nach dem Kiez wird auch der Hansaplatz ins Visier genommen. Datenschutzbeauftragter protestiert gegen gravierende Verstöße

Von zwölf Standorten auf dem Kiez übertragen Videokameras seit dem 30. März 2006 Bilder direkt an den Führungsdienst der Polizei: Von den Kreuzungen der Reeperbahn mit Hein-Hoyer-Straße, Hamburger Berg, Talstraße, Große Freiheit, Hans-Albers-Platz, Beim Trichter, Detlev-Bremer-Straße und Pepermölenbek sowie von Davidstraße, Taubenstraße und Spielbudenplatz. Zudem wird das Heiligengeistfeld und der Vorplatz des Bahnhofs Bergedorf mit mehreren Kameras überwacht. Intensiviert wurde zudem die Überwachung mehrerer U- und S-Bahnhöfe per Video.  SMV

Von SVEN-MICHAEL VEIT

Die Videoüberwachung an so genannten Kriminalitätsschwerpunkten in Hamburg soll ausgeweitet werden. Das kündigte Innensenator Udo Nagel (parteilos) gestern an. Ab dem Sommer soll der Hansaplatz in St. Georg mit fünf Kameras ins Visier genommen werden. Mit etwa 300 Straftaten pro Jahr sei dies einer der am stärksten mit Kriminalität belasteten Orte in der Stadt.

Im April 2006 waren die ersten Polizeikameras entlang der Reeperbahn und auf dem Heiligengeistfeld installiert worden. Die Überwachung des öffentlichen Raumes mit Kameras sei „als Baustein für die Innere Sicherheit in Hamburg nicht mehr wegzudenken“, behauptete Nagel in seiner Bilanz des ersten Jahres. „Wir sehen mehr und sind schneller vor Ort.“ Jede verhinderte oder aufgeklärte Straftat sei „ein Sicherheitsgewinn für die Menschen“.

Auf dem Kiez wurden in den vergangenen zwölf Monaten 271 Polizeieinsätze und 195 Festnahmen registriert, die es ohne Kamerabilder „nicht oder deutlich später gegeben hätte“, rechnete Polizeipräsident Werner Jantosch vor. Zudem seien „wiederholt unmittelbar bevorstehende Schlägereien“ verhindert worden. Die Zahl der Raubdelikte sei im vorigen Jahr auf der Reeperbahn von 63 auf 43 Fälle gesunken, die der Körperverletzungen allerdings von 551 auf 720 gestiegen. Das sei jedoch ein „bundesweiter Trend“, zudem seien während der Fußball-WM im Sommer „täglich doppelt so viele“ Körperverletzungen wie sonst angezeigt worden. Eine „Verdrängung“ von Straftaten in nicht überwachte Nebenstraßen sei „nicht festzustellen“, so Jantosch.

„Kameras können Polizisten auf der Straße nicht ersetzen“, findet hingegen der SPD-Innenpolitiker Andreas Dressel. Die Videoüberwachung sei zwar „im Rahmen eines polizeilichen Gesamtkonzeptes richtig. Als alleiniges Allheilmittel taugt sie jedoch nicht.“ Dressel verwies auf einen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom Dezember vorigen Jahres, das der Polizei auf Klage einer Anwohnerin untersagte, auch Privatwohnungen auf dem Kiez zu filmen. Mehrmals waren Kameras nicht, wie angekündigt, automatisch verblendet worden, wenn sich beim Schwenken über eine Häuserfront – unzulässige – Einblicke in das Privatleben im zweiten Stock ergaben. „Rechtsstaatliche Standards müssen gewahrt bleiben“, mahnte Dressel.

Sehr verärgert reagierte der Hamburger Datenschutzbeauftragte Hartmut Lubomierski. Wegen „gravierender Verstöße“ habe er Innenbehörde und Polizei aufgefordert, die Aufzeichnung und Verarbeitung der Videobilder vorerst einzustellen. Ein Antwort habe er nicht erhalten. Lubomierski vermisst „eine Risikoanalyse und eine unabhängige Evaluierung der Videoüberwachung“.

Dass die Polizei ihre Maßnahmen „schön redet“, könne keine Grundlage für eine flächendeckenden Überwachungsinfrastruktur in Hamburg sein: „Der beobachtungsfreie öffentliche Raum in Hamburg“, fordert der Datenschützer, „darf nicht immer enger werden.“

Rückdeckung erhält Lubomierksi dafür von den Grünen. Die festgestellten datenschutzrechtlichen Verstöße seien „für den Innensenator ein Schlag ins Kontor“, findet Innenpolitikerin Antje Möller. Die Überwachung müsse sofort eingestellt und die Aufstellung weiterer Kameras gestoppt werden. Zudem sei es „eine unerträgliche Missachtung der Institution des Datenschutzbeauftragten“, so Möller, dass Nagel auf seiner Pressekonferenz die Kritik von Lubomierski mit keinem Wort erwähnt habe.

Möller forderte deshalb die Offenlegung von Lubomierskis Prüfbericht und dessen Befassung in der Bürgerschaft. Ein entsprechendes Schreiben des Datenschutzbeauftragten sei dem Unterausschuss Datenschutz der Bürgerschaft soeben „zur Kenntnis gegeben“ worden.

Die CDU-Fraktion hingegen sieht keinen Grund zur Aufregung. „Die Videoüberwachung hat sich bewährt“, befindet Innenpolitiker Manfred Jäger: „Sie ist ein echtes Erfolgsmodell.“