Rechtsbeugung und Verfolgung Unschuldiger

Wie der designierte Hochschulrektor Hans-Christoph Jahr einst im Gefängnis landete

„Rechtsbeugung“ und „Verfolgung Unschuldiger“ – Nazi-Richter wurden deswegen verurteilt, DDR-RichterInnen in den 90ern. Und 1994 ein damals 41-jähriger Frankfurter Amtsrichter: Hans-Christoph Jahr, designierter Rektor der Hochschule Bremen.

Konkret ging es um fünf Verkehrsdelikte. Die Angeklagten hatten Einspruch gegen Bußgeldbescheide eingelegt, Jahr musste Verhandlungstermine anberaumen. Dabei gilt eine Verjährungsfrist: Ist sie abgelaufen, können die Ordnungswidrigkeiten nicht mehr verfolgt werden.

Eben dies war nach Ansicht der Staatsanwaltschaft der Fall. Jahr habe die Verjährungsfrist zunächst verbummelt. Um dies zu vertuschen, habe er dann die zu spät erfolgten Anordnungen der Hauptverhandlungen zurückdatiert – und diese trotz Verjährung durchgeführt. Damit habe er sich der „Verfolgung Unschuldiger“ in Tateinheit mit „Rechtsbeugung“ schuldig gemacht.

Jahr streitet jede Schuld ab. Seine Verurteilung – zweieinhalb Jahre Haft – erfolgte in einem Indizienprozess, Hauptbelastungszeugin war die Büroangestellte B., die Jahr vom Präsidium des Amtsgerichts, das ihn bereits auf dem Kieker hatte, eigens zugeteilt worden war. B. berichtete, Jahr habe sie aus dem Weihnachtsurlaub angerufen und ihr gesagt, man sei „bei einigen Sachen über die Fristen weg“, sie brauche sich aber keine Sorgen machen, denn: „Ich habe an den Daten was gedreht.“ Jahrs Frau sagte dagegen aus, ihr Mann habe B. gerügt, weil diese von ihm erlassene Verfügungen nicht ausgeführt habe, weswegen Fälle verjähren könnten.

Jahr hält den Vorwurf der Verjährung auch rechtlich für unlogisch. Diese sei ein Prozesshindernis, das in der Verhandlung erörtert werde – weswegen die Anberaumung der Verhandlung keine „Verfolgung Unschuldiger“ sein könne. Von den VerteidigerInnen in den Bußgeldverfahren machte in den Verhandlungen auch kein einziger „Verjährung“ geltend – für Jahr ein Beweis dafür, dass auch sie die Fälle nicht als verjährt ansahen. Vier von den fünf Verfahren stellte Jahr damals ein, im fünften reduzierte er die Geldbuße von 100 auf 70 Mark, womit der Angeklagte, wie beabsichtigt, um einen Eintrag in Flensburg herumkam.

Mit der Revision beauftragte Jahr einen namhaften Strafverteidiger. Der räumte in seiner Schrift einen von fünf Fällen ein. Jahr erfuhr dies allerdings erst, als sie schon eingereicht war. Der Bundesgerichtshof wies die Revision im August 1995 ab – Jahr war rechtskräftig verurteilt. sim