: Dösen mit Hassdrogen
LITERATURFESTIVAL 2 Eine universitär-vornehme Unterhaltung über den Spieltrieb in der Gesellschaft und in der Literatur im Haus der Berliner Festspiele
Der Titel der Veranstaltung klang vielversprechend: „Computerbrettspielbuch mit Hassdroge und geklauten Badetüchern“. Der chilenische Autor Carlos Labbé sollte mit Natascha Adamowsky, Professorin für Medienkulturwissenschaft an der Universität Freiburg, über das Spielerische in Literatur, Brett- und Computerspielen reden. Erörtert werden sollte an dem Donnerstag im Haus der Berliner Festspiele, einem der vielen Veranstaltungsorte des Berliner Literaturfestivals, wie man ernsthaft über Spiele forschen kann und welche Spielelemente den Alltag durchziehen.
Der lustige Titel bezog sich auf den Roman „Navidad und Matanza“, den Carlos Labbé 2007 veröffentlicht hat. Die Handlung wird in dem Flyer des Literaturfestivals folgendermaßen beschrieben: „Ein junger Mann fährt im teuren Cabrio die Küste entlang, lenkt die weiblichen Badegäste ab und klaut ihnen die Handtücher, sieben Wissenschaftler forschen in einem abgeschiedenen Labor an einer Droge des Hasses – so die Grundkonstellation.“
In englischen Kritiken liest es sich wieder anders, und man erfährt, dass die Geschichte 1999 spielt, von den zwei verschwundenen Kindern eines Videospielentwicklers handelt und dass ein Mann namens Boris Real eine wichtige Rolle einnimmt. Irgendwie geht es auch um ein kreatives Schriftstellerspiel, das Labbé in echt mit kreativen Kollegen gespielt hatte und bei dem Autoren irgendwelche Minitexte nach irgendwelchen Vorgaben schreiben sollten, und der Gewinner, Labbé, bekam dann alle Texte geschenkt.
Etwa 40 Leute waren in die Gartenbühne des Hauses der Berliner Festspiele gekommen. Nach ein paar Minuten schon kam einem alles etwas sinnlos vor – auch weil man das Buch nicht kannte, von dem die Rede war; weil die Unterscheidungen, die Natascha Adamowsky traf zwischen Game und Play, die Fragen, die sie stellte wie „Was sind das für Räume, in der die Gesellschaft Spiel zulässt?“, einem so vornehm-universitär vorkamen.
Der Antrieb, den man braucht, um zu spielen, kam einem so allmählich abhanden. Mit der eigenen Wirklichkeit als Gamer, in der man oft tagelang komplett sinnlos und manisch Internetbillard, Pacman, Autorennen oder anderen Schwachsinn spielt, hatte das alles nicht so viel zu tun.
Der Zugang zu Spielen, von denen Adamowsky berichtete, bei denen sich Leute im Internet verabreden, um dann in der echten Wirklichkeit die städtische Umgebung zur Oberfläche eines Spiels zu machen, ist einem eher fremd. Man versuchte aufmerksam zu bleiben, döste aber ein bisschen weg, um dann wieder aufzuhorchen, als die Professorin von der Technoszene der neunziger Jahre berichtete und den gruseligen Begriff „bewusstseinserweiternde Substanzen“ verwendete, als die Moderatorin fragte, ob Technoparties möglicherweise die Fortsetzung der Bacchanalien seien, und als antikapitalistische Gemeinplätze geäußert wurden darüber. Die schlimmsten Stereotype werden in den herrschenden Videospielen verwandt, hieß es irgendwann. Man hatte nicht so das Gefühl, als wären das da richtige Gamer auf dem Podium.
Als jemand sagte, Spielen heiße, aus der Deckung zu kommen und etwas zu riskieren, dachte man an Pacman und wie man bei dem Spieleklassiker immer deshalb verliert, weil man noch Bananen, Orangen oder Gegner essen will, anstatt sich in Sicherheit zu bringen. DETLEF KUHLBRODT
■ Die taz begleitet das bis zum 20. September dauernde Internationale Literaturfestival Berlin