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Archiv-Artikel

Baden gehen

BÜHNE Schön zu schauen, sehr komisch – und einigermaßen schwammig in der Aussage: im Deutschen Theater arbeitet man sich mit „Tabula rasa“ an der Sozialdemokratie ab

VON ESTHER SLEVOGT

Die Bühne ist schon mal toll. Ein richtiges Schwimmbad hat Jo Schramm da in das Deutsche Theater gebaut. Rechts und links hübsch-hässliche Mosaikwände bis ganz hoch hinauf. Und als der Schauspieler Felix Goeser, der die Hauptfigur Wilhelm Ständer spielt, mit Halbglatze und schütterem Lagerfeldzopf die Szene betritt, hechtet er erst mal in den Pool und durchpflügt ihn machohaft. Der erste Szenenapplaus am Donnerstag bei der Premiere von „Tabula rasa: Gruppentanz und Klassenkampf“. Die Badehose ist rot. Denn das ist die Signalfarbe des Abends, der sich die Sozialdemokratie vorgeknöpft hat. Dabei hat Klaus Wowereit gerade seinen Rücktritt angekündigt und Gerhard Schröder, der Genosse der Bosse, seit fast zehn Jahre nicht mehr im Amt. Bei den letzten Bundestagswahlen erreichte die SPD gerade noch müde 25,7 Prozent. Schröders SPD hatte 1998 noch über 40 Prozent abgeräumt.

Und hatte Plakatkünstler Klaus Staeck zur Bundestagswahl 1972 (die von Willy Brandts SPD mit 45,8 Prozent gewonnen wurde) noch ironisch „Deutsche Arbeiter, die SDP will euch eure Villen im Tessin wegnehmen!“ getitelt, sehen wir im Deutschen Theater nun einem sozialdemokratischen Arbeiter dabei zu, wie er seine Villa (in deren Keller sich das pompöse Schwimmbad befindet), gegen die Genossen verteidigt.

Man ist also auf die Argumente dieses Abends gespannt, der so rasant beginnt und neben dem Testosteronhelden Schröder (äh, Ständer) bald ein ganzes Arsenal schrillster Sozis an die Rampe stellt. Den fiesen Agitator Sturm zum Beispiel, den mit gewohntem Mut zur Hässlichkeit ein zottelhaariger Christoph Franken spielt. Oder Werner Flocke, naive aber auch korrupte Soziseele, der mit Hingabe Michael Schweighöfer seinen massigen Körper leiht. Ganz allerliebst auch die Einlage der holden Proletariertöchter Isolde (Lisa Hrdina), Nettel (Natalia Belitski) und Bertha (Judith Hofmann), die in herrlich blöden Seejungfrauenkostümen an Ständers Poolrand fürs Firmenjubiläum eine Szene aus Wagners „Rheingold“ einstudieren.

100 Jahre Glaswerke Rodau. 100 Jahre Verrat der Sozialdemokratie an den Deutschen? Das ist irgendwie der Bogen, den Tom Kühnel und Jürgen Kuttner in der Regie dann aber nicht wirklich spannen, sondern sich stattdessen an immer schwammiger werdenden Begriffen und (offen bleibenden) Grundfragen wie „Was ist links?“ abarbeiten.

Als Vorlage hat das bewährte Duo mit „Tabula rasa“ ein selten gespieltes Stück von Carl Sternheim aus der Mottenkiste geholt. Das hat eine eher wirre Story und knüpft an die bitterböse Komödie „Bürger Schippel“ an. Darin geht es um einen Proletarier, dem, kaum in den Bürgerstand aufgestiegen, sein Klassenbewusstsein komplett abhanden kommt und er schlimmer als jeder Altbürger agiert.

In „Tabula rasa“ ist dieser Schippel zum Glaswerkbesitzer aufgestiegen. Im Deutschen Theater sitzt er (in Gestalt des Schauspielers Jörg Pose) in der ersten Reihe im Zuschauerraum, schaut auf einem kleinen Monitor ein Rührstück über einen jungen russischen Revolutionär, der im Bürgerkrieg von 1917 sein Augenlicht verlor. Manchmal wirft dieser Bürger Schippel den Akteuren auf der Bühne Fragen zu: „Was ist links?“ zum Beispiel.

Wie ein Echo aus anderer Zeit geistert in Bademänteln immer wieder ein toller Chor über die Bühne (der im Programmheft leider lediglich als „Chor der Freischwimmer der Glaswerke Rodau“ ausgewiesen ist) und singt mit fast zärtlicher Eindringlichkeit sozialistisches Liedgut. Eislers „Linken Marsch“ zum Beispiel oder das berühmte Arbeiterlied „Roter Wedding“. Das ist sehr schön und wundervoll atmosphärisch. Bloß: was soll uns das sagen?

Handwerklich ist der Abend fantastisch gearbeitet, die Schauspieler sind toll und auch Kuttners Suada über das historische Versagen der SPD anhand eines alten Musikvideos von Cindy & Bert, das er in Manier seiner Videoschnipselabende in der Volksbühne als SPD-Wahlclip deutet, ist wahnsinnig komisch. Trotzdem rätselt man über die Anbindung des Abends an die Gegenwart. Haben Kühnel und Kuttner vielleicht so lange in der Theaterkantine gesessen, dass sie noch gar nicht mitbekommen haben, dass Gerhard Schröder nicht mehr Kanzler ist? Ist das eine Veranstaltung beleidigter SPD-Liebhaber, eine Revue von und für Politikverdrossene gar?

Es ist ja nicht so, dass es in der Sache nichts zu verhandeln gäbe. Der neoliberale Umbau der Gesellschaft zum Beispiel, den die Ära Schröder mit der Agenda 2010 eingeleitet hat, dessen ziemlich fürchterliche Konsequenzen sich so richtig erst in der Gegenwart zeigen. Doch dazu hätte man nicht nur eine perfekt geölte Theatermaschinerie gebraucht, sondern auch ein paar schärfere Gedanken, statt selig im eigenen Assoziationswust zu plantschen wie Ständer in seinem Pool.

■ Nächste Aufführungen 20. und 25. September