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Archiv-Artikel

„Man sollte sich nicht so wichtig nehmen“

DER EXMINISTERPRÄSIDENT Am 14. September endet Matthias Platzecks Karriere als Politiker. Hört er ganz auf? Platzeck hat 1989 die friedliche Revolution mitgemacht, war SPD-Bundeschef und elf Jahre Ministerpräsident Brandenburgs. Schon, weil er so beliebt ist in der Mark, steigt er nicht aus, sondern um. Und vom Memoirenschreiben hält er gar nichts

Der Deichgraf

■ Matthias Platzeck wurde 1953 in Potsdam geboren, wo er bis dato lebt. Nach seinem Wehrdienst in der NVA studierte er Kybernetik, ab 1982 leitete er die Hygiene-Inspektion Potsdam. Platzeck ist seit 1989 Politiker, in zweiter Ehe verheiratet, hat vier Töchter („drei eigene, die vierte erbeutet“) und ist preußisch-protestantisch.

■ Platzeck spielte Linksaußen im Fußballverein und begründete 1988 die Potsdamer Umwelt-BI Argus. 1990 wurde er grüner Minister im Kabinett Modrow (DDR), dann Abgeordneter im Bundestag, danach im Potsdamer Landtag. 1995 trat Platzeck in die SPD ein, war von 1990 bis 1998 Umweltminister im Kabinett Stolpe, dann OB von Potsdam und von 2002 bis 2013 SPD-Ministerpräsident Brandenburgs.

■ Zum Mythos wurde Platzeck im Sommer 1997, als er die Oder-Flutwelle erfolgreich bekämpfte und als „Deichgraf“ in Anlehnung an Theodor Stroms „Schimmelreiter“ in die Geschichtsbücher einging. Weitere Legenden sind: kann Wahlen gewinnen, ist Weintrinker, Preußenfan, Womanizer.

■ Platzeck hat aus seiner fragilen Konstitution kein Geheimnis gemacht. 2006 gab er aus gesundheitlichen Gründen den SPD-Bundesvorsitz auf, 2013 nach einem leichten Schlaganfall das Amt des Ministerpräsidenten. Er scheidet am 14. September 2014 aus dem Landtag aus. Als arbeitslos bezeichnet er sich nicht. (rola)

INTERVIEW ROLF LAUTENSCHLÄGER FOTOS WOLFGANG BORRS

taz: Herr Platzeck, in Berlin wird ein Nachfolger für Klaus Wowereit gesucht. Wäre das nichts für Sie?

Matthias Platzeck: Ich bin aus der Provinz, und da sollte man bei seinen Leisten bleiben.

Das Anforderungsprofil für einen Regierenden Bürgermeister hätten Sie doch: SPD-Mitglied, beliebt, kann Verwaltung, hat Ideen. Passt perfekt, oder?

Ich habe großen Respekt vor dem, was Klaus Wowereit in den vergangenen 13 Jahren in und für Berlin gemacht hat. Das ist eine andere Stadt geworden – lebens- und liebenswert, aber auch weltoffen und geeint. Schon darum wünsche ich Berlin, dass ein adäquater Regierender Bürgermeister folgt.

Haben Sie den Rücktritt kommen sehen?

Dass er zur Wahl 2016 nicht mehr antritt, war mir klar. Aber dass er zum jetzigen Zeitpunkt diese Entscheidung fällt, das war wieder ein echter Klaus Wowereit.

Wie gut sind Sie mit ihm befreundet?

Ich habe freundschaftliche Gefühle für ihn. Zu meiner Hochzeit hat er eine sehr liebevolle und launige Rede gehalten. So was vergisst man nicht.

Klingt nach „ziemlich beste Freunde.“

Natürlich waren wir wechselseitig manchmal sauer auf den anderen, schließlich gab es unterschiedliche Interessen. Aber wir haben einander vertraut.

Wenn Sie sich so gut verstanden haben, ist es umso erstaunlicher, dass Sie beide die Fusion von Berlin und Brandenburg nicht hingekriegt haben. Warum eigentlich nicht?

Weil ich es nicht wollte!

Wowereit hat Ihnen „Mutlosigkeit“ in Sachen Länderehe vorgehalten.

Er hat alles versucht. Er hat sogar meine Frau gefragt, wie sie es geschafft hat, mich zu heiraten. Spaß beiseite: Ich kann in einer Fusion für die zweieinhalb Millionen Brandenburger Bürgerinnen und Bürger keinen echten Vorteil erkennen …

Potsdam würde Regierungssitz, es gäbe nur eine Verwaltung. Ein großes Bundesland kann stärker verhandeln, die Beziehungen zwischen Stadt und Region vereinfachen sich sozial, kulturell, wirtschaftlich. Und, und, und …

Das mag aus Berliner Sicht so sein. Aber die Brandenburger sehen das nicht so. Darum habe ich immer gesagt: Mit mir gibt es die bestmögliche Zusammenarbeit – aber die Fusion nicht. Zudem fehlen Antworten auf für meine Heimat wichtige Fragen: Wer übernimmt die 60 Milliarden Euro Schulden Berlins? Wie ist gesichert, dass es ganz Brandenburg wirklich besser geht mit einer Verwaltung und einer Regierung? Schließlich hätten die Berliner in einem gemeinsamen Parlament immer die klare Mehrheit. In der Summe sind die Interessenlagen aus meiner Sicht nicht kongruent.

Wie haben Sie es eigentlich geschafft, dass das ganze Flughafen-Desaster nur an Berlins Regierendem kleben blieb und nicht an Ihnen? Sie waren doch beim BER genauso politisch verantwortlich für Pleiten, Pech und Pannen.

Das stimmt. Wir haben die Dinge gemeinsam entschieden – wie die weiteren 13 Mitglieder im Aufsichtsrat auch.

Aber warum ist die Pleite an Ihnen so abgeperlt?

Sie ist nicht abgeperlt. Der BER hat den Ruf der ganzen Region beschädigt. Aber es gibt einen gravierenden Unterschied zu Berlin: Die Sicht in Brandenburg auf das Projekt ist nicht so zentral wie in Berlin.

Also Glück gehabt?

Nein, in den Regionen Brandenburgs stehen eben auch andere Probleme im Vordergrund.

Wowereit sagte bei seiner Rücktrittsankündigung, der BER sei seine „größte politische Niederlage“. Was war Ihre?

Der Flughafen. Keine Frage.

Sie gelten in gewisser Weise als Rücktrittsprofi. Würden Sie, wenn Sie es könnten, einen ihrer Abschiede revidieren?

Rücktrittsprofi? Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich zweimal in meinem Leben zurückgetreten bin. Es hatte zweimal gesundheitliche Ursachen. Das war nicht schön – aber da muss man Realist sein und die Möglichkeiten, die man hat, richtig einschätzen. Sicher, es wäre vielleicht alles möglich gewesen. Aber das wollte ich weder meiner Familie noch meinem Land und meiner Partei zumuten. Rückwirkend würde ich deshalb auch nichts anderes machen.

Nicht eine Sekunde – ob beim Aus vom SPD-Vorsitz oder dem vom Amt des Ministerpräsidenten – haben Sie gezuckt?

Natürlich hat mich das beschäftigt. Und ich habe meine Frau und meine Kinder dabei mit einbezogen. Als meine Tochter noch gesagt hat: „Papa, du warst in fünf Brandenburger Landesregierungen. Wenn du in der sechsten nicht bist – glaubt du, irgendwas brennt im Land an?“ Das war sehr klar und ernüchternd. Sie hatte recht. Der Satz hat sich mir tief eingeprägt. Man sollte sich auch nicht so wichtig nehmen.

Wird es einmal ein Platzeck-Comeback geben? Oder sitzen Sie zukünftig daheim rum und gehen Ihrer Frau auf die Nerven?

Ich bin wahrscheinlich weniger zu Hause als vorher, und meine Frau ist jetzt schon nicht immer „amüsiert“, dass ich wieder so viel unterwegs bin. Aber ich bin innerlich freier, weil der Druck Dutzender täglicher Entscheidungen weg ist. Ich habe mit meinen außenpolitischen Verpflichtungen – in der Friedrich-Ebert-Stiftung und im deutsch-russischen Forum – eine Menge zu tun. Ich arbeite für soziale Stiftungen, und, und, und. Trübe Gedanken, dass ich in irgendwelche Löcher falle, habe ich nicht.

Kommt jetzt die Rolle als Elder Statesman?

Nein, die liegt mir nicht.

Aber Sie haben sich gerade in Ihrer Funktion als Vorstand im deutsch-russischen Forum deutlich außenpolitisch geäußert und den harten Kurs der Nato und der EU gegenüber Russland kritisiert.

Als ich den Vorsitz des deutsch-russischen Forums übernahm, bestand ein gutes und solides Verhältnis zu Russland. Heute haben wir ganz andere Bedingungen: Wenn ich in Moskau zu Gesprächen bin, ist das Klima nicht selten schwierig bis eisig. Aber wenn man zu Hause einen Satz etwa zur Notwendigkeit dieser Beziehungen sagt, ist man gleich der „Putin-Freund“ und wird in eine Ecke geschoben.

Jetzt sind Sie der Matthias Platzeck, der in aktuelle Debatten reingrätscht.

Ich war nie der große Reingrätscher. Ich bin im Sport sozialisiert und darum Teamspieler. Wahrscheinlich liegt darin das Geheimnis, dass uns hier die Menschen nach 25 Jahren weiterhin vertrauen, weil sie sehen, wir spielen ordentlich und hauen einander nicht vors Schienbein. Das werde ich auch künftig so halten. Wo es nötig ist, sage ich natürlich meine Meinung.

Am 9. November feiern wir 25 Jahre Mauerfall. Passt es eigentlich, dass eine bestimmte Generation von „Mauerfallkindern“, zu denen Sie gewissermaßen gehören, jetzt von der Bühne abtritt?

Meine Generation, die die friedliche Revolution erlebt und mitgestaltet hat und die dann in die Politik gegangen ist, ist heute 60, 65 Jahre alt. Da ist es normal, dass die nächste Generation rankommt. Das Land hat sich auch gewandelt. Wer in jenen Jahren im Osten Verantwortung trug, hatte es nicht leicht. Das waren Umbruchsjahre der härtesten Art. Ich kenne viele Kollegen, die seit 1989 wie ich in der exekutiven Verantwortung waren. Und auch da ist kein Vakuum entstanden, wir haben neue, jüngere Landräte, Stadträte, Bürgermeister, Landespolitiker.

Wo hat Ihre Generation Fehler im Vereinigungsprozess gemacht?

Der Vereinigungsprozess war nicht geradlinig und leicht, sondern von unheimlich viel Unsicherheit begleitet. Hier ist eine ganze Gesellschaft in allen ihren Lebenszusammenhängen auf den Kopf gestellt worden. Nichts war mehr wie vorher: Das Geld war anders. Die Gesetze waren anders. Uns sind täglich Betriebe zusammengebrochen. Hunderttausende hatte plötzlich keine Arbeit mehr. 80 Prozent der Brandenburger haben beispielsweise neue Berufe erlernen müssen. Das Schwierigste war die Frage, wie nimmt man die Menschen da mit und wie macht man ihnen Mut in den Phasen der Hoffnungslosigkeit und bei stellenweise 30 Prozent Arbeitslosigkeit plus ABM. Manfred Stolpe und Regine Hildebrandt stehen fast idealtypisch für diese Kompetenz, trotz des Umbruchs Millionen Menschen mitgenommen zu haben.

Die Zeiten, in denen die „östliche Umbruchkompetenz“ – ein Ausdruck von Ihnen –gefragt war, sind nach 25 Jahren endgültig vorbei?

In den kommenden zehn Jahren müssen die strukturellen Nachteile – die noch immer doppelt so hohe Arbeitslosigkeit wie im Westen, das Fehlen ausreichend neuer Industrien, die mangelnde Forschungsdichte – in Brandenburg beseitigt werden. Schafft der Osten nicht, hier Anschluss zu schaffen, wird das gravierende Konsequenzen haben. Wir müssen und können auch die Hunderttausende, die abgewandert sind, wieder zurückgewinnen, wir brauchen deren Arbeitskraft. Brandenburg macht sich da gut: Es kommen viele wieder, wir zahlen Schulden zurück, die Wirtschaft wächst, zuletzt um 2,8 Prozent, die Arbeitslosigkeit kratzt an der 8-Prozent-Marke.

Was ist mit den Verlierern? Auch in Brandenburg geht die soziale Schere auseinander.

Es stimmt: Nicht alle partizipieren am Aufschwung. Wir haben aus diesem Grund 2009 den Koalitionspartner gewechselt und Rot-Rot gemacht – um die soziale Gerechtigkeit wieder zu stärken. Wir wollten den Mindestlohn in Brandenburg, das Schüler-Bafög einführen und der kommunalen Wirtschaft mehr Raum geben.

Hat vielleicht darum in Brandenburg vieles ganz gut geklappt, weil es lange die „sozialistische Wärmestube“ war?

Kommen Sie mir nicht mit dem Landowsky-Satz. Das ist doch völliger Quatsch.

Mit einem Stasibeauftragten hatte es Brandenburg aber nie besonders eilig.

Vorsicht! Wir haben von 1992 bis 1994 die intensivste Stasi-Debatte aller neuen Bundesländer gehabt. Kein anderes Bundesland ist so heftig ausgeleuchtet worden wegen der Diskussionen um die DDR-Vergangenheit von Manfred Stolpe. Es gab Debatten, Untersuchungskommissionen, Bürgerinitiativen, eine Enquetekommission zu dem Thema. Und es gab 1994 ein Wahlergebnis von 54 Prozent für die SPD – auch als Folge dieser Diskussionen.

Aber es gab noch 2009 heftige Kritik, als Sie Rot-Rot bauten.

„Wo es nötig ist, sage ich natürlich meine Meinung“

Als die Linke mit in die Regierungsverantwortung kam und noch bis dato unbekannte ehemalige Stasi-Spitzel mit an Bord waren, war das sicher problematisch. Wir mussten reagieren. Und das haben wir.

Wenn einer elf Jahre Ministerpräsident war und davor OB von Potsdam, hat er Spuren hinterlassen. Wir sitzen hier im neuen Landtagsschloss. Ein echtes Platzeck-Denkmal!

Das ist kein Platzeck-Denkmal.

Dann nehmen wir eben das vor wenigen Jahren fertiggestellte neue Gebäude für das Hans-Otto-Theater hier in Potsdam, wenn Ihnen das lieber ist.

Bleiben wir hier: Der Landtag war der Wunsch vieler Potsdamer, und glücklicherweise haben das Land und Sponsoren wie Hasso Plattner und Günther Jauch mitgeholfen, es zu bauen. Ich habe mich dafür eingesetzt, weil ich der Meinung bin, dass der gesamte Rhythmus dieser Stadt Potsdam – die gesamte architektonische und städtebaulich Struktur – hier ihren Anfang und Ausgangspunkt nahm. Knobelsdorff hat in die Stadtmitte ein Kunstwerk gesetzt, von dem ich mir nicht vorstellen konnte, dass es moderne Architektur ersetzen könnte.

Haben Sie eine schlechte Meinung von modernen Architekten?

Nein. Aber das Schloss ist immer das Herz dieser Stadt gewesen. Es ist aus ideologischen Gründen 1960 gesprengt worden. Ich bin jetzt froh, dass das Herz hier wieder schlägt.

Es war doch höchst umstritten!

Aber seit das Schloss steht, siehe da, hatten wir 120.000 Besucher. Die Menschen überlaufen uns hier. Das zeigt, es war eine gute Entscheidung.

Bis 2018 soll die Garnisonkirche wiederauferstehen. Warum engagieren Sie sich für Projekte mit einem derart konservativen Anstrich?

Der Wiederaufbau der Garnisonkirche ist wichtig, und ein konservatives Projekt ist es schon gar nicht. Wenn ich mich im Kuratorium so umschaue, dann sehe ich da lauter aufgeklärte Menschen. Der Vorsitzende ist Altbischof Wolfgang Huber, er gilt in Kirchenkreisen eher als links.

Der Bau und seine Geschichte sind doch mehr als bedenklich: Das war die Soldatenkirche der Preußen. Hier inszenierten im Jahr 1933 die Nazis am „Tag von Potsdam“ ihren Machtantritt. Es gibt mehrere Bürgerinitiativen gegen den Wiederaufbau der Garnisonkirche.

Die Kirche ist geplant als Versöhnungszentrum. In der Welt, auf die wir gerade zulaufen mit den Kriegen von Irak bis in die Ukraine, ist so ein Projekt umso wichtiger. Klar, hier haben sich Hitler und Hindenburg die Hand gegeben. Aber sie ist auch die Kirche des Widerstands vom 20. Juli 1944. Und schließlich gehört die Garnisonkirche zur Stadtsilhouette Potsdams.

Was machen Sie am kommenden Montag, den 15. September?

Ich hoffe, dass ich vielleicht mit einem etwas schweren Kopf aufwache, weil wir in der SPD Grund hatten, Dietmar Woidke und seinen Wahlsieg zu feiern.

Letzte Frage. Welche Memoiren lesen sich einmal spannender: die von Klaus Wowereit oder die Ihren?

Ich schreibe keine Memoiren. Und die von Klaus Wowereit werden sicher hochinteressant, weil er die spannendste Stadt Deutschland umgekrempelt hat. Das war kein gerader Weg.