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Archiv-Artikel

Der populäre Prediger

LEITFIGUR Jan Hus, der in Konstanz verbrannt wurde, ist tschechischer Nationalheld

Spurensuche

■ Jan Hus: Die Geschichte der Hussiten und Hussitenkriege kann man am besten in der Stadt Tábor erforschen. www.discoverczech.com/tabor/index.php4 Wenige Kilometer entfernt stehen die Ruinen der Ziegenburg (Kozí Hrádek), wo Hus seine letzten Lebensjahre verbrachte.

■ Wassersportler: Sie halten sich besser an den unweit entfernt gelegenen Stausee Lipno am Oberlauf der Moldau.

■ Wanderungen: Das Städtchen Prachatice eignet sich als Ausgangspunkt für Ausflüge in den Böhmerwald. www.discoverczech.com/prachatice/index.php4, www.boehmerwald.at/de/boehmerwald/sport-freizeit-boehmerwald/wandern-boehmerwald/brw.html

VON RALF LEONHARD

Einen prominenteren Platz hätte man in Prag kaum finden können, um ein Denkmal für Jan Hus zu errichten, als den Altstädter Markt. Zwischen der Teynkirche, die zur Zeit ihrer Errichtung das wichtigste hussitische Gotteshaus war, und dem gotischen Rathaus blickt die Figurengruppe um den großen Reformator anklagend über den Platz.

Jan Hus ist für die Tschechen mehr als ein religiöser Reformator. Vielmehr ist er so etwas wie Mahatma Gandhi für die Inder oder Martin Luther King für die Afroamerikaner. Er wurde zur Leitfigur einer nationalistischen Auflehnung gegen die Fremdherrschaft. Sein Denkmal steht nicht nur in Prag und im Dorf Husinec im Böhmerwald, wo der Bauernsohn um 1370 geboren wurde. In keiner Stadt Böhmens fehlt die Husová ulica, die Jan-Hus-Straße. In Husinec selbst gibt es ein kleines Museum. Die Lateinschule besuchte Hus – wahrscheinlich dank der Fürsprache eines Priesters, der das Talent erkannte – im wenige Kilometer entfernt gelegenen Städtchen Prachatice. Heute steht dort ein imposantes Renaissancegebäude, in dem die Stadtbibliothek untergebracht ist. Prachatice erlebte damals einen wirtschaftlichen Aufschwung und wurde mit einer mächtigen Stadtmauer, verstärkt durch acht Basteitürme, befestigt.

Die Stadt war Endpunkt des sogenannten Goldenen Steigs. Das war der wichtigste Handelsweg zwischen Bayern und Böhmen. Von Passau aus wurden Waren aller Art, vor allem aber Salz, aus dem Alpenraum auf Lastpferden herangeschafft – über 90 Kilometer quer durch den damals noch weitgehend undurchdringlichen Böhmerwald. Der Weg diente auch Vogelhändlern, „leichten Mädchen“, wie es in der Stadtchronik heißt, und Soldaten. Prachatice hatte das Stapelrecht: Alle Händler mussten ihre Waren dort feilbieten und Zoll bezahlen. So wurde die Stadt zu einer der reichsten in ganz Böhmen, die auch nach Pestepidemien (1625) und den Verwüstungen des Dreißigjährigen Krieges immer wieder auferstand. Erst als die Habsburger 1709 den Handel mit Importsalz verboten, begann der nachhaltige wirtschaftliche Niedergang. Zum Glück für die Nachwelt, denn damit erlahmte die Bautätigkeit, und die Altstadt blieb in großen Teilen als Renaissance-Juwel erhalten.

Prachatice ist auch heute wieder Zentrum und Ziel von Wanderungen. Der Goldene Steig ist als Wanderweg und Strecke für Mountainbiking markiert und ausgeschildert. Die Lage der Stadt am Fuße des Böhmerwald-Berglandes macht aus ihr auch einen idealen Ausgangspunkt für Wanderungen und Ausflüge ins Innere des Böhmerwalds, zum Lipno-Stausee am Oberlauf der Moldau, im Sommer ein Anziehungspunkt für Badeurlauber und das ganze Jahr über für Angler.

Jan Hus, der die Lehren des englischen Reformators John Wyclif aufgriff und ins Tschechische übertrug, kam jung nach Prag, wurde dort zum Priester geweiht und predigte dann in der Bethlehemskapelle. Das kleine Gotteshaus, dessen Bausubstanz zum Teil noch aus dem 14. Jahrhundert stammt, wurde in den letzten Jahren wieder so hergerichtet, wie es vor 600 Jahren ausgesehen haben könnte. Es war damals eine reine Predigtkirche, die sich dadurch von anderen unterschied, dass dort in tschechischer Sprache und nicht in dem dem gemeinen Volk unverständlichen Kirchenlatein gepredigt wurde.

Dort zog Hus über die Verkommenheit des Klerus her, der weithin „durch Weibertrug in die Schlingen des Teufels“ geraten sei. Auf dieser Geißelung der Unkeuschheit fußt wohl auch das weit verbreitete Vorurteil, Hus sei besonders frauenfeindlich gewesen. Doch die meisten von Hus verbreiteten Thesen waren so einleuchtend, dass sie in Böhmen schnell Verbreitung fanden. Mehr als hundert Jahre vor Martin Luther wandte sich der Kirchenkritiker gegen Ablasshandel, Ämterkauf und andere Laster der Geistlichkeit. In der Kirche herrschten nicht nur Laster und Korruption: Persönliche und politische Zwistigkeiten lagen einem Schisma zugrunde. Jahrzehntelang regierten Papst und Gegenpapst.

Böhmenkönig Wenzel IV. sympathisierte anfangs mit dem populären Prediger, der 1409 sogar zum Rektor der Karlsuniversität avancierte. Die von Kaiser Karl IV. 1349 gegründete Alma Mater Carolina gilt als die älteste deutsche Universität. Die Karriere des Reformers endete bald. Einer der Päpste erklärte ihn zum Ketzer, und König Wenzel sah ein, dass ein Verbot des Ablasshandels auch die eigene Kasse betreffen würde. So wurde Hus von der Universität verstoßen.

Unter dem Schutz böhmischer Adeliger konnte er drei Jahre weiter predigen und seine wichtigsten Schriften verfassen. Dann wurde er auf dem Konzil zu Konstanz 1415 als Häretiker verbrannt – ungeachtet des von Kaiser Sigismund garantierten freien Geleits. Sein Todestag, der 6. Juli, wird in der Tschechischen Republik noch heute als Feiertag begangen.

Die Lehre des Jan Hus verbreitete sich trotz Verfolgung und Glaubenskriegen über die ganze Welt. Nämlich über die von Geheimprotestanten gegründete Mährische Bruderkirche, die sich der Missionierung von Ceylon bis Grönland und Nicaragua verschrieb. „Doch eine Hussitische Kirche gibt es erst seit 1920“, sagt der hussitische Priester Jili Füzer.

Nach der Gründung der Tschechoslowakei als Folge des Zerfalls des Habsburgerreiches nach dem Ersten Weltkrieg gründete sie ein abgesprungener katholischer Priester als tschechische Staatskirche. Hus, der in der Landessprache gepredigt und wichtige Bücher ins Tschechische übersetzt hatte, wurde als eine Art Vorläufer des tschechischen Nationalismus verehrt und später selbst vom kommunistischen Regime als Sozialrevolutionär umgedeutet und vereinnahmt.

Nach dem Regimewechsel 1989/90 erlebte die Hussitische Kirche enormen Zulauf, weiß Füzer. Noch heute wird die Tradition gepflegt, die Kommunion in beiderlei Gestalt, also als Brot und Wein, zu reichen. Symbol der Hussitischen Kirche ist daher der Kelch. Nach der Messe, die traditionell am Abend gehalten wird, gibt es ein echtes Beisammensein der Gemeinde. „Viele kommen wohl auch, weil es was zu essen gibt“, gibt sich der Priester illusionslos.