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Archiv-Artikel

„Er hatte die Wucht eines Niagara-Falls“

DANACH Für die Deutschen war er der Literaturpapst, für Andrew Ranicki jemand, der zu beschäftigt war, um abends vorzulesen. Ein Jahr nach Marcel Reich-Ranickis Tod spricht sein Sohn über das Schweigen der Kindheit und die Fragen am Sterbebett

Andrew Ranicki

■ Person: Britischer Mathematiker auf dem Gebiet der algebraischen Topologie und Professor der Mathematik an der Universität Edinburgh. Er ist verheiratet und hat ein Kind.

■ Biografie: Geboren am 30. Dezember 1948 in London als Sohn des Literaturkritikers Marcel Reich-Ranicki (1920–2013) und der Künstlerin Teofila Reich-Ranicki (1920–2011). Nach Kindheit in Polen ging er ab 1960 in Hamburg zur Schule und konnte am Ende das tun, was seinem Vater verwehrt blieb: studieren, nämlich Mathematik in Cambridge.

GESPRÄCH EMILIA SMECHOWSKI FOTO JO HANLEY

Wie wollen wir uns unterhalten?“, fragt Andrew Ranicki und legt dann gleich auf Polnisch los. Seit dem Tod seines Vaters hätte er dazu kaum Gelegenheit gehabt. Sein Haus liegt in einer ruhigen Straße Edinburghs, doch drinnen tobt es. Wo zuerst hinschauen? Aktzeichnungen im Bad, rosa Plüschflamingos, die von der Decke hängen, und daneben Fotos, Artikel und Bücher von und über den großen Marcel Reich-Ranicki. Er liegt sogar als Steinkopf im Wintergarten. Hier findet das Gespräch statt, unter einer Glasdecke, auf die der Regen peitscht. „Lassen Sie uns doch Deutsch reden“, sagt Andrew Ranicki mit polnischem Akzent.

sonntaz: Herr Ranicki, ist es nicht unheimlich, den Kopf des toten Vaters im Wintergarten zu haben?

Andrew Ranicki: Überhaupt nicht. Bis zu seinem Tod stand die Büste in der Wohnung meiner Eltern und jetzt hier in Edinburgh. Ich empfinde es eher als tröstend und anregend, dass sie hier steht. Ich denke viel mehr an meine Eltern, seit sie tot sind.

Ihr Vater war der bekannteste Literaturkritiker unserer Zeit. Warum sind Sie Mathematiker geworden?

Es wäre unmöglich gewesen, ein deutscher Schriftsteller zu werden, mit so einem Kritiker als Vater.

Wollten Sie das denn: Schriftsteller werden?

Gott, nein. Ich war immer sehr gut in Mathematik. Und vielleicht wollte ich etwas machen, das meins ist, auf einem Gebiet, zu dem mein Vater keinen Zutritt hat.

Wenn Sie an ihn als Vater denken, welches Bild kommt da zuerst?

Er war nie, wirklich nie zufrieden mit meiner Kleidung. Das hat sich durch mein Leben gezogen. Er hat mich mal gefragt, ob ich nicht eine bessere Stelle bekommen hätte, wäre ich besser angezogen. Dabei bin ich Professor in Edinburgh.

Während Ihr Vater im Warschauer Getto lebte, rasierte er sich zweimal täglich und hatte immer geputzte Schuhe.

Ja, und ich glaube, ein geordnetes Äußeres hielt ihn auch innerlich zusammen. Er ging davon aus, dass so seine Überlebenschance im Getto größer sei. Daher seine Obsession, was die Kleidung anderer betrifft.

Trug Ihr Vater denn später zu Hause auch Anzug und Krawatte?

Immer. Aber er war selten zu Hause, ihn trieb es immer zur Arbeit. Meine Mutter erzählte einmal, dass er sogar in Sopot an den Strand im Anzug wollte. Das hat sie ihm dann ausgeredet.

Hat er Ihnen gesagt, welche Bücher Sie lesen sollten?

Nein! Er hat das gut gemacht, er sagte nicht, dies oder das musst du lesen, sondern hat mir Vorschläge gemacht. Ich konnte immer seine Bibliothek nutzen. Das hat meine Neugier geweckt. Und dann haben wir über die Werke gesprochen, das heißt, er hat sie mir erklärt.

Hat er bei Ihrer Auswahl manchmal auch die Nase gerümpft?

Nun, ich liebte früher Krimis und Spionageromane. Als ich „Der Spion, der aus der Kälte kam“ las, meinte er, das sei Schundliteratur. Er hatte keine Ahnung.

Hat er Ihnen abends vorgelesen?

Nein, nie, das hat er nicht. Er war viel zu beschäftigt. Ich habe ziemlich früh gelernt, selbst zu lesen, mit fünf, glaube ich.

Heißt das eigentlich, Sie haben mit Ihrem Vater nie etwas anderes gemacht, als Gespräche über Literatur zu führen?

Doch, ein Mal! Da waren wir auf dem Hamburger Dom, da muss ich so zehn gewesen sein. Wir sind Autoscooter gefahren. Ich glaube, das war’s. Sonst habe ich viel mit meiner Mutter unternommen. Sie ist unheimlich gern ins Kino gegangen. Einmal haben wir die Wohnung verlassen, da sprach er gerade am Telefon mit Walter Jens. Und als wir wiederkamen, sprach er immer noch mit Walter Jens. Er hatte manchmal Scheuklappen auf.

Waren Sie ein guter Schüler?

Ja. Ich muss wohl ein Streber gewesen sein. Aber es war einfach so, dass mich die Schule interessiert hat.

Waren Sie gut genug für Ihren Vater?

Er hat mal einen Kollegen von mir gefragt, wie gut ich denn sei als Mathematiker. Dieser Kollege erzählte mir dann, mein Vater sei nicht sehr glücklich mit seiner Antwort gewesen. Wahrscheinlich hätte ihm nur ein Vergleich mit Einstein genügt.

Ihre Eltern lebten als polnische Juden im Warschauer Getto. Sie waren schon im Tross zu den Viehwaggons nach Treblinka, als sie im letzten Moment die Flucht wagten. In den letzten zwei Kriegsjahren wurden sie von einem polnischen Ehepaar auf dem Land versteckt, was für alle Beteiligten sehr gefährlich war. Haben sie dieses Paar je wiedergesehen?

Nein. Aber meine Eltern haben sehr oft an beide gedacht und daran, dass sie ihnen ihr Leben zu verdanken hatten. Ich glaube, sie haben ihnen auch bis in die 1980er Jahre Geld geschickt und sie in die Liste der Gerechten in Israel eintragen lassen, die Liste derer, die Juden vor dem Tod gerettet hatten.

Warum hörte Ihr Vater im Getto lieber Musik, statt Bücher zu lesen?

Weil Musik direkt konsumierbar war und sicher auch emotionaler. Einen Roman zu lesen, dafür fehlte ihm, glaube ich, einfach die Muße. Schließlich wusste er nicht, ob er am nächsten Tag noch am Leben sein würde, um ihn zu Ende zu lesen.

All diese Details haben Sie erst 1999 erfahren, als Sie seine Autobiografie lasen. Warum haben Sie ihn vorher nie danach gefragt?

Das konnte ich nicht, das wollte ich nicht. Grob wusste ich ja, was passiert war. Und ich kannte die Bilder meiner Mutter, die sie im Getto gezeichnet hatte. Es war mir nicht geheuer, nachzufragen. Es war ein zu heikles Thema.

Hatten Sie Angst vor dem, was dann kommen könnte?

Eigentlich nicht. Eher eine Scheu.

Psychologen sprechen bei Holocaust-Überlebenden oft von einer „doppelten Mauer“: Eltern, die nicht erzählen. Und Kinder, die nicht fragen. Schweigen auf beiden Seiten.

Ja, das ist sicher so. Ich wollte einfach mich und meine Eltern schützen, indem ich nicht nachfrage.

Ihr Vater hat sehr lang gezögert, „Mein Leben“ zu schreiben.

Aber am Ende tat er es dann doch, für meine Mutter und mich. Ich glaube, er hatte Angst, das alles noch mal durchleben zu müssen. Gott sei Dank hat er sich dazu durchgerungen. Er hat sich an so viel erinnert, an so viele Details.

Von einer halben Million Menschen im Getto überlebten am Ende nur wenige Tausend. Traut man sich da als Sohn überhaupt, Liebeskummer zu haben oder Probleme im Job?

Ich habe durch meine Eltern gelernt, jeden Tag zu schätzen. Es ist wie eine Verpflichtung, keine Zeit mit unnötigen Sorgen zu vergeuden. Im Grunde sind die Probleme, die wir haben, immer Erste-Welt-Probleme. Was nicht heißt, dass ich nie Liebeskummer oder Jobprobleme hatte. Aber ich war mir dessen bewusst, was das für Probleme sind.

Sprechen Sie mit Ihrer Tochter über den Holocaust?

Wenig. Aber sie hat auch das Buch gelesen. Und bei ihrer Hochzeit in Italien wurde aus dem letzten Kapitel gelesen, wo es um die Liebe meiner Eltern ging …

die im Übrigen furchtbar angefangen hat. Die beiden lernten sich 1940 kennen, an dem Tag, an dem Tosias Vater Selbstmord beging. „Kümmere dich um das Mädchen“, hatte die Mutter zu Marcel gesagt. Und er hat es getan.

Ja, die Liebe meiner Eltern war mir ein Vorbild. Ich weiß, ihm werden viele Affären nachgesagt. Aber ich weiß auch, dass er meine Mutter über alles liebte.

Nach dem Krieg kannte Ihr Vater nur ein Ziel: Kritiker der deutschen Literatur zu werden. Dafür fuhr er in das „Land der Täter“. Was glauben Sie, wie war das für ihn?

Er wollte immer zurück nach Deutschland, das stimmt, er hatte dort ja seine Jugend verbracht. Was hätte er im Nachkriegsdeutschland tun sollen? Es gab ein kollektives Schweigen, bei Tätern und Opfern. Aber seine Liebe zur deutschen Literatur war immer größer als einzelne Biografien.

Und doch kamen Ihre Eltern nie richtig an. Ihr Vater beklagte sich zum Beispiel darüber, dass er jahrelang nicht zu Redaktionskonferenzen eingeladen wurde.

Ja, das war bei der Zeit. Dafür durfte er aber, als er in den Ruhestand ging, sein Büro bei der FAZ behalten. Dafür hat Frank Schirrmacher gesorgt. Er war fantastisch zu meinen Eltern. Er hasste Krankenhäuser. Und doch hat er meinen Vater dort besucht, als es zu Ende ging. Dass Schirrmacher wenige Monate später auch gestorben ist, war ein Schock für uns alle.

Kann man sagen, Ihr Vater ist ein Außenseiter geblieben?

Ja, und das hatte auch was Gutes. Er stand außerhalb und sah umso besser.

Wie ist es bei Ihnen? Wo ist für Sie Heimat?

Ich könnte jetzt sagen, meine Heimat ist die Mathematik, so wie es für meinen Vater die deutsche Literatur war. Heine sprach ja vom „portativen Vaterland“, dem kann ich viel abgewinnen. Es ist kein Zufall, dass meine Hochzeit im mathematischen Institut stattfand. Die Mathematik ist das Einzige, was mir nicht abgesprochen werden kann.

Sind Sie mit Ihren Eltern jemals nach Polen zurückgekehrt?

Nein. Bis 1989 konnten wir eh nicht, und danach, ich weiß nicht, ich habe das irgendwie in meinem Kopf abgeschottet. Ich weiß sehr wohl, dass jetzt dort alles anders ist, frei und nicht mehr so grau. Aber was soll ich da? Alle meine polnischen Verwandten sind tot, die, die noch leben, sind ausgewandert nach Frankreich, Amerika. Wen sollte ich besuchen?

Dabei haben Sie zu Hause mit Ihren Eltern nur polnisch gesprochen.

Ja, allerdings sprach ich das Polnisch eines Neunjährigen. Ich habe einen Kollegen in Warschau. Er zwingt mich, polnisch zu sprechen. Das hilft.

Sind Sie Ihrem Vater ähnlich?

Mir ist, genauso wie ihm, die Arbeit sehr wichtig. Wir haben uns beide in ihr unsere eigene Welt geschaffen. Und wir haben die gleichen Werte, was gut ist und was schlecht. Nur hat er immer noch ein „sehrrrrrr“ davorgesetzt. Etwas war „sehrrrrrr“ gut oder „sehrrrrr“ schlecht.

Und was unterscheidet Sie?

Vielleicht, dass ich menschenfreundlicher bin. Mein Vater hatte immer starke Neigungen für und gegen jemanden, ich bin da wie meine Mutter, ausgeglichener. Und, das muss man ganz klar sagen, er hatte eine viel größere Begabung auf seinem Gebiet als ich auf meinem. Es gibt Mathematiker, die besser sind als ich. Aber es gab keinen Literaturkritiker, der besser war als er.

Seine Frau kommt, bringt selbst gebackenes Brot und spanischen Käse. Oh, am Anfang sei es schwierig gewesen, erzählt sie. Marcel habe ständig ihre selbst genähten Kleider kritisiert – und sei auch nicht zur Hochzeit gekommen. Später trafen sie sich oft, an Geburtstagen, bei Preisverleihungen. „Aber ich erinnere mich nicht, dass wir jemals ein richtiges Gespräch geführt hätten. Es wäre sicher anders gewesen, wäre ich Professorin für deutsche Literatur.“

Herr Ranicki, haben Sie unter der Dominanz Ihres Vaters gelitten?

Ja und nein. Mit einem etwas sanftmütigeren Vater hätte ich es sicher leichter gehabt. Andererseits war mein Leben so interessanter. Ich habe viel über deutsche Literatur gelernt. Ich weiß aber, dass für meine Frau und meine Tochter die Beziehung zu ihm schwieriger war.

Tragen Sie ihm das nach?

Nein, es war einfach seine Natur. Er hatte die Wucht eines Niagara-Falls. In den entscheidenden Jahren war ich ja eh weg von zu Hause. Mit sechzehn Jahren bin ich nach England gegangen, habe dort Abitur gemacht und studiert. Wäre ich in Deutschland geblieben, hätte es sicher anders ausgesehen.

Wie war Ihre Beziehung zu Ihrer Mutter?

Sehr gut. Viel emotionaler, sie war weicher als er. Aber nicht, dass sie dumm gewesen wäre! Sie war wundervoll. Wirklich wundervoll. Und sie hatte immer eine klare Meinung, nicht immer die meines Vaters. Nur hat sie sie nicht so vehement vertreten. Manchmal haben Leute zu meinem Vater gesagt: „Also, ich kann Sie nicht leiden, aber ihre Frau …“

Ihre Mutter hat unter den Nachwirkungen des Krieges viel mehr gelitten als Ihr Vater.

Ja. Dabei hätte sie so gern Kunst studiert, sie konnte wunderbar zeichnen. Aber sie hatte psychische Probleme, Schlafstörungen. So ein Kriegstrauma kann man nicht heilen, nur zeitweilig verbessern.

Was hat sie den Tag über gemacht?

Sie hat gelesen und sehr gern ferngesehen. Als Thomas Gottschalk meinen Vater das erste Mal anrief und ihn zu ‚Wetten, dass..?‘ einladen wollte, war mein Vater verdutzt. Er wusste nicht, wer das war. Da sagte Gottschalk zu ihm: „Fragen Sie Ihre Frau, wer ich bin.“ Sie wusste es natürlich.

Wo ist eigentlich der Deutsche Fernsehpreis gelandet, den Ihr Vater abgelehnt hat?

Ich habe ihn erst mal an mich genommen. Vor vier Jahren ist er dann ans Haus der deutschen Geschichte in Bonn gegangen, für eine Ausstellung zu Humor in der Politik. Ich saß ja damals mit im Saal, und ich wusste, dass es schwer werden würde, meinen Vater zwei bis drei Stunden zu amüsieren. Sie hätten ihm diesen Preis am Anfang geben sollen, dann hätte er ihn genommen – und fertig. Aber nach drei Stunden auf dieser Veranstaltung war er einfach genervt.

Ihr Vater war manchmal sehr hart in seinen Urteilen. Haben Sie mal gesagt, ach Papa, das hättest du auch sanfter ausdrücken können?

Nein, dafür war er ja der Fachmann, nicht ich. Ich habe seine Urteile nicht immer angenommen, aber diskutiert habe ich nicht darüber.

War Sonntag der Tag der Familie?

Ja, wenn er nicht arbeiten musste. Dann sind wir spazieren gegangen, immer zu dritt.

Und Weihnachten?

Haben wir nicht wirklich gefeiert. Mein Vater hielt nichts davon, und meine Mutter legte einfach einen Tannenzweig auf den Tisch und eine Kerze. Unser Fest an Silvester war immer größer.

Wer hat bei Ihnen gekocht?

Meine Mutter. Ich glaube, dass sie vor dem Krieg magersüchtig gewesen war. Aber vielleicht waren fünf Jahre Hungern während des Krieges die beste Therapie dagegen. Jedenfalls war ihr Essen sehr wichtig, meinem Vater nicht so sehr. Ihn interessierte, wann es Essen gab. Nicht so sehr, was.

Was hat Ihre Mutter gekocht?

Eher polnisch als deutsch. Viel Fleisch. Nur keine Karotten und keinen Fisch, das mochte mein Vater nicht.

Haben Sie Freunde mit nach Hause gebracht?

Manchmal. Aber wir wohnten etwas außerhalb Hamburgs. Es war jedenfalls nicht so, dass die dann auch zum Abendessen geblieben sind.

Hatte es Vorteile, einen berühmten Vater zu haben?

In meinem Fall schon. Durch ihn habe ich alle Größen der deutschen Literatur des zwanzigsten Jahrhunderts kennengelernt. Und Angela Merkel und Joachim Gauck.

Ihr Vater war nicht sehr politisch …

… das stimmt so nicht. Er hat abends die „Tagesschau“ geguckt, er war informiert, hat sich gefreut, als Obama Präsident wurde. Aber für die Probleme der deutschen Rentenversicherung hat er sich nicht interessiert, das stimmt.

Wie ist es bei Ihnen? Am 18. September, dem Todestag Ihres Vaters, stimmen die Schotten über ihre Unabhängigkeit ab.

Ich bin dagegen. Die Schotten sind sehr stolz, aber für dieses Nationaldenken ist es einfach hundert Jahre zu spät. Für alle Fälle habe ich letztes Jahr neben der britischen die deutsche Staatsbürgerschaft beantragt. Auch weil unklar ist, ob England in der EU bleibt.

Sind Sie genauso unreligiös wie Ihr Vater?

Ja. Er hatte auch ausdrücklich darum gebeten, dass bei seinem Begräbnis keine religiöse Zeremonie stattfinden sollte. Meine Eltern liegen auf dem Frankfurter Hauptfriedhof, nicht auf dem jüdischen. Nur eine jüdische Tradition habe ich mir erlaubt: Besucher können auf ihr Grab kleine Steine legen. Das fand ich schön.

Sie haben die letzten Monate seines Lebens an seinem Sterbebett verbracht.

Er hat nicht mehr viel geredet, dafür war er zu schwach. Aber wenn, hat er vom Getto gesprochen. Ob er nicht doch etwas hätte tun können, um seine Eltern vor dem Vernichtungslager zu retten, das hat er oft gefragt. In dieser Zeit hat er mich mit meinem zweiten Namen angesprochen, Olek, nach seinem ermordeten Bruder. Das hat mich sehr gerührt.

Ihr Vater hatte bis zum Ende Angst vor dem Tod. Ich würde denken, wer jahrelang den Tod vor Augen hatte, den schreckt nichts mehr.

Aber mein Vater hatte eine große Angst vor Schwäche. Und der Tod ist die größte Schwäche, die man sich vorstellen kann.

Das heißt, er litt darunter, am Ende gepflegt zu werden?

Oh nein! Wir hatten eine türkische und eine polnische Pflegerin, immer im Wechsel. Das hat er außerordentlich genossen. Gegen Komfort hatte mein Vater nun wirklich nichts.

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