: Die Knigge-Frage
Darf man als 2.-Klasse-Reisende mit seiner Schwester in der 1. Klasse Skat spielen?
Schon mal was von „upward mobility“ gehört? Dieser Aufwärtsmobilität? So bezeichnen die Leute im englischsprachigen Raum jene Sehnsucht, von einer unteren Klasse in eine obere Klasse zu gelangen. Genau das, was ich neulich wollte.
Im Zug war es. Im ICE der Deutschen Bahn. Zufall wollte es, dass meine Schwester mit Mann und Sohn im gleichen Zug in der ersten Klasse saß. Ich in der zweiten. „Wie schön, wir reisen zusammen!“ Ihre Fahrkarte war billiger als meine. Sparticket. Anders als ich, weiß sie lange im Voraus, was sie dann und dann tut. So kam es, dass sie vor dem Bordrestaurant saß, ich dahinter. Vorne war es leer und leise, hinten war es eng, laut und voll.
Klar, wir besuchten uns: „Hi, wie ist es so?“ Bei ihr war Platz zum Dazusitzen, bei mir nicht. „Bleib doch“, sagt sie. „Einfach so?“, frag ich. Einfach so nach vorne mogeln? „Wenn’s nicht passt, schicken sie dich schon wieder nach hinten.“ Meine Schwester neigt zum pragmatischen Handeln. Ich blieb immer nur eine Weile, dann ging ich wieder zurück an meinen angestammten Platz.
Dann wollten wir Skat und ich mit offenen Karten spielen. Ich fragte die Schaffnerin, ob das okay sei. „Nein“, sagt sie. „Geht nicht“, sagt sie. „Sie sind zweiter Klasse.“ Es war nichts zu machen. „Ihre Schwester kann in die zweite Klasse“, sagt sie.“ Abstieg ist also immer möglich. „Hinten ist doch kein Platz.“
Sie ließ sich nicht erweichen. Ich könnte ein Bahntester sein, sie käme in Teufels Küche. Die untere Klasse ist immer der Dämon. Mit Ehrlichkeit ist upward mobility in dieser Deutschen Bahn nicht möglich.
Ich habe dann noch einmal meine Schwester besucht. „Na, wie geht es euch in eurem Luxus-Gefängnis? Eurem Bahn-SUV?“ Es ging ihnen gut. Ich stand da, sah, dass meine Schwester einen Tee trank, die Servicekraft lief vorbei, „kann ich auch einen Tee bestellen?“, fragte ich. „Nein“, sagt sie, „Sie sind zweiter Klasse.“
Das kennt man: Solidarität in den unteren Schichten war halt noch nie. WALTRAUD SCHWAB
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