LEUCHTEN DER MENSCHHEIT BARBARA BOLLWAHN
: Ein Henker ruft nach Arbeit

In Gesprächen mit Jugendlichen merkt man schnell, dass die meisten keine Ahnung haben, wie das Leben in der DDR war. Es wäre sicher interessant, ihnen ein Buch zu geben, in dem der Alltag aus der Sicht von Mitarbeitern des Ministeriums für Staatssicherheit beschrieben wird – in Spitzelberichten. Was für ein Bild entsteht von der DDR, wenn man Berichte liest, die so banal oder absurd sind, dass man es kaum glauben kann, oder so perfide, dass man Gänsehaut bekommt?

Das Buch „Genossen, wir müssen alles wissen!“ (Lukas Verlag), eine Aufforderung von Stasichef Erich Mielke an seine Mitarbeiter, beschäftigt sich mit Aktenresten. Geschrieben haben es Gudrun Weber und Thomas Auerbach, und weil die Autoren den Berichten nur wenige einordnende Sätze hinzufügen und sie ansonsten für sich sprechen lassen, ergibt sich ein sehr unmittelbarer Eindruck.

Es sind Berichte über die Erprobung einer im Westen beschafften „Chemischen Keule“, einem Spray, das zu Orientierungslosigkeit führt, über Verfehlungen von Stasi-Mitarbeitern, die Frauen in die Dienststelle einluden, „Elemente, welche unserer Entwicklung feindlich gegenüberstehen“, oder die Gelder aus der Fahndungskasse nahmen. Ein Henker beschwerte sich, weil er nicht genug Arbeit hatte. „Es gibt doch ständig Todesurteile.“ Andere Berichte werten Westpresse aus, in der „Luftkissenboote im Angebot sind“, die „zum ungesetzlichen Verlassen der DDR auf dem Wasserwege benutzt werden können“, oder bitten um Überprüfung, warum die Toiletten in einem Ferienheim des MfS „nach dem Hochklappen nicht in dieser Stellung verbleiben, sondern zurückfallen“. Ein Bericht vom Oktober 1989 informiert darüber, dass tonnenweise Gummibärchen an Schweine verfüttert wurden, weil es kein Verpackungsmaterial für die Süßigkeiten gab. Trotz vieler Lächerlichkeiten wird kein lächerliches Bild der DDR gezeichnet, sondern von einem Staat, in dem Kontrolle und Repression so großgeschrieben wurden, dass es kein Halten mehr gab.

Die Autorin ist Schriftstellerin