: Vom Baumwollanbau bis zum Bügel
TEXTILIEN Die Bundesregierung will faire Standards für die gesamte Kette der Produktion. Doch das wird noch dauern
Es war eine vollmundige Ankündigung: Im April erklärte Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), dass er noch dieses Jahr ein Siegel für ökologisch und sozialverträglich hergestellte Kleidung einführen wolle. Von der Textilbranche erwarte er ein gutes Jahr nach dem Einsturz einer Textilfabrik in Bangladesch mit rund 1.100 Toten, dass sie entsprechende Standards für die gesamte Produktionskette garantiere – vom Baumwollanbau bis zum Bügel. „Wenn das nicht auf freiwilliger Basis funktioniert, werden wir einen gesetzlichen Rahmen vorgeben“, so der CSU-Minister im Frühjahr.
Doch die Idee stößt bei den großen Kleidungsunternehmen und -verbänden auf wenig Gegenliebe. Sie argumentieren, dass es auch für Textilien bereits einige Nachhaltigkeitszertifikate gebe, die Zertifizierung der einzelnen Herstellungsschritte aufwendig sei und ein neues Siegel nur international Sinn mache.
Wegen der Widerstände ist es fraglich, ob es in absehbarer Zeit überhaupt ein neues Siegel geben wird. Auf Anfrage heißt es aus dem Entwicklungsministerium, dass das von Müller gegründete „Textilbündnis“, zu dem 70 Vertreterinnen und Vertreter von Textilwirtschaft, Gewerkschaften und Zivilgesellschaft gehören, derzeit die Idee eines Siegels und weitere Instrumente „betrachtet“. Bis zum Herbst wolle man sich auf soziale und ökologische Mindeststandards einigen, „die beispielsweise den Einsatz schädlicher Pestizide im Baumwollanbau ausschließen oder Kinderarbeit verhindern“.
Allerdings liegen die Vorstellungen zwischen den Unternehmen und den Entwicklungsorganisationen über die Definition der Standards noch weit auseinander, sagt Christiane Schnura, Koordinatorin der Kampagne Saubere Kleidung – „zum Beispiel bei der wichtigen Frage, was ein existenzsichernder Lohn konkret bedeutet“. Dabei den Mindestlohn im Produktionsland zugrunde zu legen, sei nicht ausreichend, weil mit ihm häufig kein menschenwürdiges Dasein möglich sei. Kritisch sieht Schnura auch, dass die Verwendung eines möglichen Siegels freiwillig sei. „Langfristig muss es eine Unternehmenshaftpflicht geben, die verbindlich gilt.“
Offen ist derzeit auch noch, ob es zur fristgerechten Einführung eines weiteren Hilfsmittels kommen wird, das den Verbrauchern Orientierung bieten könnte: 2015 sollen Verbraucher auf dem Internetportal „Qualitätscheck Nachhaltigkeit“ laut Entwicklungsministerium „schnell und unkompliziert erkennen können, ob ein Standard oder Siegel glaubwürdig ist oder nicht“. Nachvollziehbar solle dabei auch sein, ob ein Produkt unter fairen Arbeitsbedingungen produziert wurde. OLE SCHULZ