crime scene
: Die Zivilisation als Tünche für die Seelenlandschaft: „Kalter August“ von Peter Temple

Peter Temples „Kalter August“ ist ein gutes Beispiel für so manche Dinge. Zunächst dafür, dass deutsche Verlage etwas zu sehr dazu tendieren, übersetzten Kriminalromanen so wohlklingende wie sinnfreie Neutitel zu verpassen, die mit dem Originaltitel nichts und mit dem Buch selbst nur wenig zu tun haben. Es ist im Roman in der Tat kalt, doch spielt er in Australien, wo im August Winter ist, was den scheinbaren Widerspruch im deutschen Titel auf einen nichtssagenden oberflächlichen Effekt reduziert. Und dann spielt die Zeichenhaftigkeit des Wetters zwar auch eine Rolle; doch fällt sie eher bescheiden aus angesichts des übermächtigen Bedeutungsapparats ihrer nahen Verwandten, der Landschaftssymbolik, die Temple mit tieflotender Gründlichkeit bedient. „The Broken Shore“ heißt der Roman im Original, was nicht nur ein – im Übrigen ausführlich erläuterter – Name für die zerklüftete Küste ist, die den Handlungsort gibt, sondern gleichzeitig ein Sinnbild für den prekären mentalen Zustand, in dem der Held sich befindet. Eine klassische Seelenlandschaft also. Und ein pessimistisches Bild für den Zustand der Zivilisation an sich. Ziemlich viel für einen Thriller. Vielleicht ist es ja angesichts der unzähmbaren Weiten der australischen Landschaften nur natürlich, wenn sich beim Schreiben immer wieder Bilder formen, die, zu Buchstaben geronnen, automatisch zu Metaphern werden. Doch dafür muss man natürlich erst einmal wirklich schreiben können.

Und eben auch dafür ist dieser Südafrikaner Peter Temple, der auch ein paar Jahre in Deutschland gelebt hat und nun ein australischer Schriftsteller ist, ein gutes Beispiel. Die Story, dieses „trauriger Cop setzt sich gegen korrupten Apparat durch und entlarvt ganz allein, wenngleich eigentlich zu spät, ein Netz von Bösewichtern“, ist auch bei Temple von eher typischem Zuschnitt. Joe Cashin, vormals bei der Mordkommission, hat sich nach einer traumatischen Erfahrung, die einen Kollegen das Leben gekostet hat, in einen kleinen Küstenort zurückgezogen, seinen Geburtsort, und spielt den Landpolizisten. In wilder Landschaft lebt er in dem zerstörten Haus eines verstorbenen Onkels, das er wieder aufbauen will. Da wird auf einem benachbarten Anwesen ein reicher alter Mann brutal zusammengeschlagen, der bald darauf seinen Verletzungen erliegt. Der Verdacht fällt auf Jugendliche aus dem Aborigines-Viertel des Nachbarortes, die daraufhin von rassistischen Polizeibeamten brutal gehetzt werden. Cashin gerät, ohne es zu wollen, zwischen die Fronten.

Leider ist Temple nicht wirklich interessiert daran, diese explosive soziale Grundkonstellation konsequent auszureizen, obwohl er in den zahlreichen Nebenfiguren durchaus das nötige Personal auffährt. Stattdessen konzentriert er sich lieber darauf, seinen Kriminalfall genrekonform aufzulösen, was in die Logik seiner groß angelegten Seelenlandschaftsmetaphorik auch nicht schlecht hineinpasst. Denn die kultivierte, überaus gepflegte Reichenwelt des Ermordeten, der zu Lebzeiten viel Geld in soziale Projekte gesteckt hat, kontrastiert auf Schärfste mit der Wildnis ihrer unmittelbaren, natürlichen Umgebung. Dass diese Kultiviertheit sich als bloße zivilisatorische Tünche erweist, ist im Überbau des Romans angelegt und kommt nicht wirklich überraschend. Wohl deshalb glaubt der Autor es nötig zu haben, zum Schluss hin die Handlung mit actionreichen Knalleffekten aufpeppen zu müssen. Das wirkt wie ein unnötiger Genrewechsel; denn der Roman als Ganzes bezieht seine besondere Qualität eben nicht aus solchen Äußerlichkeiten. Sondern aus der konsequenten Lakonie, mit der hier einer die Spannungen in und zwischen den Menschen mit Hilfe von etwas anderem beschreibt. Ob er unbedingt einen Genreroman daraus hätte machen müssen, ist allerdings noch die Frage. KATHARINA GRANZIN

Peter Temple: „Kalter August“. Aus dem Englischen von Hans M. Herzog. Bertelsmann, München 2007, 448 Seiten, 19,95 Euro