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Archiv-Artikel

Allein gegen Justitia

Ein Landwirt streitet als letzter Kläger vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das atomare Endlager im Schacht Konrad. Die umliegenden Gemeinden überlegen bereits, was sie mit den erhofften Ausgleichszahlungen alles tun könnten

VON KAI SCHÖNEBERG

„Millionen sind froh über die Entscheidung des Gerichts“, sagt Hartmut Marotz. Sie werden den Atommüll nicht vor ihrer Haustür liegen haben. „Nur wir“, erklärt der Bürgermeister von Vechelde, „wir sind eben nicht froh.“ Marotz hat die Entscheidung des Bundesgerichtshofs kommen sehen. Der Schacht Konrad, gegen den er und viele andere in der Gegend um Salzgitter seit drei Jahrzehnten streiten, wird zum atomaren Endlager: Nach der Nichtzulassung der Revisionsanträge gilt das ehemalige Erzbergwerk als Lager für schwach und mittelstark strahlenden Atommüll als rechtskräftig genehmigt. In ungefähr sechs Jahren könnte in bis zu 1.200 Metern Tiefe radioaktiver Abfall aus Krankenhäusern oder Schutt von stillgelegten Atomkraftwerken gelagert werden. Konrad ist für 303.000 Kubikmeter verseuchtes Material zugelassen, 95 Prozent des deutschen Atommülls sollen hier versenkt werden. Für immer.

Sigmar Gabriel, der SPD-Umweltminister, der seinen Wahlkreis in der Gegend hat, sagt, da könne man nichts mehr machen, Industrie, CDU und FDP sagen, jetzt müsse so schnell wie möglich der Ausbau zum Endlager begonnen werden. „So einfach ist die Welt“, sagt Marotz. 50.000 Euro hat das 6.000 Einwohner kleine Vechelde in Klagen und Gutachten gegen das 2002 als Endlager genehmigte Stollensystem investiert. Nichts gegen die fast eine Milliarde Euro, die die Atomkonzerne in den Schacht Konrad bis jetzt investierten, nichts gegen die 900 Millionen Euro, die die weitere Umrüstung zum ersten Endlager für Atommüll in Westdeutschland kosten könnte. Aber viel für Vechelde, durch dessen Ortsmitte die Züge mit den Atomtransporten eines Tages rollen könnten. Und jetzt? „Man kann ja immer nur die Waffen einsetzen, die man überhaupt noch hat“, sagt der Bürgermeister. Und zur „großen Kanone“ kann die Gemeinde nach Ansicht des Bürgermeisters nicht greifen, auch wenn die Stadt Salzgitter die Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht zur Zulassung der Revision derzeit noch prüft. Marotz sagt, die Gemeinde Vechelde sei keine Privatperson – und nicht so „unmittelbar“ betroffen wie zum Beispiel Walter Traube.

Landwirt Traube, dessen Erdbeer- und Rübenfelder fast in Spuckweite vom Eingang des Grubenschachts liegen, steht jetzt allein vor Justitia. Der 43-Jährige war zusammen mit Vechelde, Salzgitter und der Gemeinde Lengede durch die Instanzen gezogen – und unterlag mit ihnen. Traube, der in der Gegend mit den Jahren so etwas wie eine Ikone des Konrad-Widerstands geworden ist, denkt in diesen Tagen an die Menschen in der Region Tschernobyl. „Die ziehen doch auch zurück, weil sie an ihrer Scholle hängen.“ Deshalb will er mit seiner Frau und den vier Kindern auch dann in Bleckenstedt wohnen bleiben, wenn die Sache in Karlsruhe keinen Erfolg hat: „Wir können doch hier nicht alles stehen und liegen lassen.“

Am Donnerstag reichte Traubes Anwältin das Schreiben beim Verfassungsgericht ein. Das letzte juristische Aufgebot, das auf die grundgesetzlich verbrieften Rechte auf körperliche Unversehrtheit, den Schutz der Familie und den Schutz der Lebensgrundlagen pocht, die das Endlager verletzen werde. „Ich bin immer zuversichtlich“, sagt Traube, auch wenn er gar nicht so klingt.

Und selbst wenn die Beschwerde scheitert. Die beinahe 300.000 schriftlichen Einwendungen, die die Konrad-Gegner 1991 mit Treckern nach Hannover transportierten, die Aktionen der Arbeitsgemeinschaft und der mit ihnen verbündeten IG Metall vor Ort, sind nicht umsonst gewesen, meint Traube: „Wenn wir nichts gemacht hätten, hätten die den Mist hier längst verbuddelt.“ So wie in Asse, dem wenige Kilometer entfernten Versuchsendlager, das jetzt abzusaufen droht (taz berichtete).

Hans-Heinrich Sander glaubt, das misst der Langzeitsicherheit und den möglicherweise radioaktiven Dämpfen aus den Abluftschächten sei alles nur eine Frage des Geldes. Deshalb forderte Niedersachsens FDP-Umweltminister am Donnerstag erneut Ausgleichszahlungen aller Bundesländer für die Region Salzgitter, weil es um eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ gehe.

Für Traube ist das nichts als Ablass für die Verseuchung seiner Heimat, Bürgermeister Marotz hat längst alles mal durchgerechnet. Auch er weiß, dass VW und das Stahlwerk vielleicht nicht mehr so ohne Weiteres in ihre Werke in Salzgitter investieren, wenn die Gegend zum Atomklo geworden ist. Das könnte Jobs in Salzgitter kosten. „Es geht um die Psychologie“, betont Marotz. Selbst wenn Konrad alle Grenzwerte einhält: „Viele Menschen werden es vermeiden, in diese Region zu ziehen.“ Auch wenn noch niemand in der Republik die Bereitschaft zum Zahlen erklärt hat, grübelt auch der Bürgermeister bereits, was er denn so brauchen könnte: Eine Unterquerung der Bahntrasse, die Vechelde zerschneidet, zum Beispiel. „Vielleicht“, sagt Marotz, „bin ich mit den Jahren zum stumpfen Kämpfer geworden.“ Aber in den „Kreis der Antragsteller reiht sich Vechelde jetzt ein.“